„Promising Young Woman“: Carey Mulligan als feministischer Racheengel
Mit dieser Frau ist nicht zu spaßen: Carey Mulligan in „Promising Young Woman“.
Quelle: Merie Weismiller Wallace; SMPSP
Die junge Frau im Nachtclub hängt mehr auf ihrem Platz, als dass sie sitzt. Sie kann sich kaum mehr aufrecht halten, die Augen fallen ihr beinahe zu. Ihr Körper droht jeden Moment zur Seite zu sacken. Cassie (Carey Mulligan) legt alle Anzeichen einer Sturzbetrunkenen an den Tag.
An der Theke lauern schon die Geier: Eine Männergruppe, Typ: liberales Bürobürgertum, hat sie in den Blick genommen. Die Beute liegt zum Greifen nahe. Jedenfalls sieht alles danach aus.
Scheinheilig macht sich ein gewisser Jerry an die junge Frau heran: „Geht es Ihnen gut?“ Kurz darauf schleppt er die vermeintlich wehrlose Cassie ab in sein Apartment. Eine Art zustimmendes Gemurmel hat sie ja schließlich von sich gegeben. Ein leichtes Opfer glaubt er vor sich zu haben.
Doch als der Mann zudringlich wird, sich über die schon auf dem Bett Liegende beugt und sich an ihrem Slip zu schaffen macht, lässt Cassie die Maske fallen: „Was tust du da?“ Glasklar und eiskalt dringt ihre Stimme durch den Raum. Plötzlich sitzt sie aufrecht. Kein Zweifel: Diese Frau ist stocknüchtern. Der Typ erschrickt, als sei eine Tote zum Leben erwacht.
In dieser Nacht macht Cassie einen weiteren Strich in ihr kleines Notizheft, so wie früher Skalpjäger Kerben in den Kolben ihres Gewehrs ritzten. Viele Seiten in dem Heft hat Cassey schon mit bunten Strichen gefüllt.
„Promising Young Woman“ ist alles andere als eine harmlose Angelegenheit, auch wenn die Farben quietschbunt sind und der Film zwischenzeitlich an eine Collegekomödie erinnert – bloß dass die Figuren allesamt mindestens ein Jahrzehnt zu alt für dieses Genre sind.
Bei dem Regiedebüt der Britin Emerald Fennell, die auch das Drehbuch schrieb, handelt es sich um eine bitterböse Satire und gegen Ende auch um einen Thriller, getarnt als heitere Komödie. Die Filmemacherin spielt mit Genreversatzstücken und reißt die Zuschauer immer wieder überraschend aus ihren Erwartungen heraus. Nie weiß man hier, woran man ist.
Cassie ist ein Racheengel
Seit der Oscarverleihung im April trägt der Film noch ein anderes Qualitätslabel. Da wurde Fennell – bis dahin kannte man sie als Schauspielerin durch ihre Rolle als Camilla Parker Bowles in dem Netflix-Ereignis „The Crown“ und als Drehbuchautorin der Fernsehserie „Killing Eve“ – mit dem Preis fürs beste Originaldrehbuch ausgezeichnet. Seitdem gilt „Promising Young Woman“ als erster Revenge-Film zur Me-Too-Debatte, geradezu als ein Manifest.
Cassie ist ein Racheengel – und erinnert in ihrer Haltung mit den ausgebreiteten Armen in der anfangs beschriebenen Clubszene durchaus an eine Gekreuzigte. Genauso kommen aber auch Assoziationen an Quentin Tarantinos Rachefilm „Kill Bill“ hoch – auch wenn es hier, zumindest körperlich, weniger gewalttätig zugeht. Und schon bei Tarantino galt der immer wieder gern zitierte Spruch: „Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird.“
Aus Notwehr geborene Bösartigkeit
Cassie war mal eine hoffnungsvolle Medizinstudentin, eben eine „Promising Young Woman“. Jetzt jobbt sie in einem Café und wohnt wieder bei ihren Eltern. Ihr Studium hatte sie abgebrochen, nachdem sich ihre beste Freundin Nina das Leben genommen hatte. Nina war an der Hochschule Opfer einer Vergewaltigung geworden. Über den Tod der Freundin ist Cassie nie hinweggekommen. Deshalb ist sie jetzt auf ihrem Rachefeldzug – und wird zu einer ambivalenten Figur.
Für Carey Mulligan ist diese Carey eine belebende Erweiterung ihres Repertoires: Oft war sie die Unschuldige, Süße, gern im Rüschenkostüm, egal wie differenziert sie in „Alles, was wir geben mussten“ (2010) oder „Die Ausgrabung“ (2020) agierte. Hier strahlt sie eine aus Notwehr geborene Boshaftigkeit aus.
Manche haben „Promising Young Woman“ als Männerhasserfilm bezeichnet: In jedem Mann stecke ein potenzieller Vergewaltiger. Tatsächlich attackiert die Regisseurin eine von Männern dominierte Gesellschaft. Aber die Frauen, die sich ihrem Schicksal ergeben, bekommen ebenso ihr Fett weg. Cassie kümmert sich schon darum mit ihren perfiden Schachzügen.
Da ist die Universitätsdekanin, die ihre übergriffigen Studenten in Schutz nimmt – bis sie die Gefahr erkennen muss, in der ihre eigene Tochter dank Cassies Zutun gerade steckt. Und da ist Cassies ehemalige Mitstudentin, die geneigt ist, Frauen die Schuld zu geben für alles, was danach passiert, wenn sie zu viel getrunken haben. So etwas wird sie wohl nie wieder behaupten, nachdem sie in die von Cassie gestellte Falle getappt ist.
Die Vergangenheit wird Cassie nicht mehr los. Im Gegenteil: Sie steckt wieder mittendrin, als sie einen sympathischen ehemaligen Kommilitonen von ihrer Universität trifft. Und so viel darf verraten werden: Die Regisseurin Fennell lässt den Kinozuschauer bis zum Schluss nicht mehr vom Haken. Erleichtert geht hier niemand nach Hause.
„Promising Young Woman“, Regie: Emerald Fennell, mit Carey Mulligan, Bo Burnham, Alison Brie, Adam Brody, Jennifer Coolidge, 108 Minuten, FSK 16.