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Fritzi Haberlandt: „Ich möchte die Mitte mit demokratischen Mitteln stärken“

Die Schauspielerin Fritzi Haberlandt bei der lit.Cologne im März 2019.

Die Schauspielerin Fritzi Haberlandt bei der lit.Cologne im März 2019.

Berlin. Schon in ihrer Jugend war sie politisch interessiert. Im Gespräch mit Jan Sternberg erzählt Schauspielerin Fritzi Haberlandt („Babylon Berlin“, „ZERV – Zeit der Abrechnung“), wie sehr sie heute Demokratie­verdrossenheit und Verweigerungs­haltung umtreiben – und welche Rolle der Osten immer noch spielt.

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Frau Haberlandt, die Grünen haben Sie für die Bundes­versammlung nominiert. Seit Kurzem sind Sie auch Mitglied im Kreisverband Barnim in Brandenburg, wo Sie wohnen. Wie kam es dazu, dass Sie in einer Partei aktiv sind?

Ich bin im vergangenen Herbst eingetreten. Ich wollte nicht nur hilflos zugucken, wie so viele Menschen um mich herum anti­demokratischen Strömungen folgen. Das geht gerade in eine echt schreckliche Richtung. Menschen, die ich kenne, die sich eigentlich auseinander­setzen mit der Welt um sie herum, lassen sich so verblenden und gehen auf Demonstrationen mit, auf denen eindeutig auch Neonazis mitmarschieren.

Ich musste etwas tun. Ich wollte einer demokratischen Partei beitreten. Das konnten für mich nur die Grünen sein. Ich hatte schon seit einigen Jahren eine immer stärkere Sehnsucht, mich wieder mehr politisch einzubringen. Jetzt fange ich damit an. Das gab mir das Gefühl von mehr Souveränität. Ich will aktiv etwas gegen diese anderen Strömungen tun.

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Diese Strömungen, von denen Sie sprechen, haben ja auch Ihre beruflichen Projekte stark beeinflusst. Sie spielen in der Serie „Babylon Berlin“ mit. Deren Hauptdarsteller Volker Bruch war eine der treibenden Kräfte hinter der Aktion „Alles dicht machen“, und er liebäugelte mit der „Querdenker“-Partei Die Basis. Auch Nadja Uhl, Ihre Filmpartnerin in der neuen ARD-Serie „ZERV“, war bei „Alles dicht machen“ dabei. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?

Ich finde diese Denkrichtung, auch die Art, wie man sich als Künstlerin zu gesellschaftlichen Problemen äußert, einfach grundfalsch. Ich möchte mich in die Mitte der Demokratie begeben und nicht irgendwie am Rand versuchen, die Demokratie auszureizen unter dem Deck­mantel der Kunst. Wir Schauspielerinnen und Schauspieler sind unglaublich privilegiert.

Mir kam es so vor, als würden viele in der Gesellschaft verhöhnt mit der Aktion, das Pflegepersonal zum Beispiel. Es gehört sich nicht für uns, alle zu Idioten zu erklären, die Masken tragen. Das ist meine Zunft, die sich teilweise unerträglich verhalten hat. Dagegen wollte ich ein Zeichen setzen. Ich möchte die Mitte mit demokratischen Mitteln stärken.

Wie gefährdet erscheint Ihnen diese Mitte? Wie gefährdet ist auch der Zusammenhalt in der Gesellschaft?

Die Schriftstellerin Juli Zeh hat es sehr gut geschildert: Aus Parteien­verdrossenheit wird Politik­verdrossenheit, jetzt kommt Demokratie­verdrossenheit über die Gesellschaft. Das treibt mich um. Wir gehen leichtfertig mit der Demokratie um. Jede und jeder Einzelne kann viel mehr tun, als auf „die da oben“ zu schimpfen. Das ist leider auch so eine ostdeutsche Mentalität, die jetzt auf Gesamt­deutschland übergreift.

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Juli Zeh sagt auch, dass die Politik die Spaltung zwischen Stadt und Land weiter befördere. Gibt es diese Spaltung wirklich so stark?

Das Dorf in der Schorfheide, in dem ich lebe, ist sehr nah an Berlin, und trotzdem haben die meisten Menschen, die dort leben, mit Berlin nichts zu tun. Ich finde es sehr bereichernd, dass ich da sehe, wie die Menschen leben, was sie umtreibt. Die Lebensrealität dort ist einfach eine komplett andere. Sie haben wirklich andere Sorgen als die Menschen in der Stadt.

Und dann sehe ich Menschen, die aus Berlin weggezogen sind und in den vergangenen zwei Jahren eine irritierende Entwicklung gemacht haben. Die hocken in einer ganz eigenen Blase, die mit den Dorf­bewohnern auch sehr wenig zu tun hat. Die finden plötzlich, dass in Berlin alles falsch läuft, dass man mit der Gesellschaft nichts mehr zu tun haben will. Das sind Leute, die sich da ihr Paradies bauen und finden, dass ihre Freiheit über allem steht.

Warum? Was tut sich da?

Ich fand solche Leute früher immer total sympathisch, ein bisschen waren wir ja auch so. Aber nun wendet sich ihre Freiheits­sehnsucht gegen die Gesellschaft. Das sind die Leute, die dir erzählen, dass eigentlich keine Gefahr von Corona ausgeht, dass sie sich nicht impfen lassen, Masken ablehnen und sich immer mehr der Gesellschaft verweigern. Und das finde ich gruselig.

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Ist diese Protestwelle Ihrer Meinung nach etwas völlig Neues oder eine Neuauflage der Demonstrationen, die wir aus den Pegida-Jahren kennen?

Das ist eine Neuauflage. In der Frage der Aufnahme von Geflüchteten haben sich zum ersten Mal Freundes­kreise und Familien gespalten. Das war die erste Prüfung, jetzt kommt die zweite, und es wird sicherlich eine dritte geben. Dann geht es vermutlich um Klimaschutz­verordnungen, die die Menschen wirklich betreffen. Dann werden sich einige wieder übergangen fühlen. Sie werden sich nicht damit beschäftigen, sondern einfach dagegen sein.

Beginnt das nicht jetzt schon, gerade auf dem Land, wo die hohen Benzinpreise wirklich ein Problem sind?

Ja, und ich kann es verstehen, weil eben so viele auf das Auto angewiesen sind. Aber es kann ja nicht die Lösung sein, dass man deswegen die Klimakrise ignoriert. Zudem sind sehr viele Leute in meinem Dorf eigentlich viel grüner, als der wohlhabende grüne Stadtmensch es je sein könnte. Sie haben alle einen Garten, kompostieren und produzieren sehr wenig Müll. Die Älteren haben sehr wenige Fernreisen gemacht – die könnten alle jede Menge Bonuspunkte für nachhaltigen Lebensstil bekommen.

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Was und wen möchten Sie erreichen in dieser politisch aufgeheizten Zeit?

Ich versuche, mich jetzt zu engagieren, um nicht völlig frustriert zu resignieren. Ich versuche, Brücken zu bauen mit den Einblicken, die ich habe. Ich bin ein sehr offener Mensch, ich versuche, allen Menschen, die mir begegnen, wirklich zuzuhören. Ich versuche, ein Bindeglied zu sein zwischen den Menschen auf dem Land und meiner Berliner Künstlerblase.

Außerdem bin ich seit drei Jahren ehrenamtlich im Hospiz tätig, habe viel Kontakt mit Pflegepersonal. Ich kriege Biografien mit im Hospiz und erzähle weiter, was ich dort erfahre. Vielleicht stelle ich mich bald einmal an einen Grünen-Stand in Eberswalde oder wo auch immer. Ich kann nicht nur zusehen, wie sich die Leute im Internet aufregen. Das frustriert mich total. Wichtig für diese Gesellschaft ist gerade, dass man sich nicht abgrenzt, sondern diese Grenzen, die sich bilden, zumindest durchlässig hält.

Die Grünen unterstützen Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier. Werden Sie ihn wählen?

Ich finde ihn unterstützens­wert. Ich finde es ganz richtig, in dieser Zeit kein großes Risiko einzugehen und auf Beständigkeit zu setzen. Ich hätte eine weibliche Kandidatin auch gut gefunden. Hoffentlich bekommen wir nächstes Mal die erste Bundes­präsidentin.

In der ARD-Serie „ZERV – Zeit der Abrechnung“ (ab 15. Februar in der Mediathek, ab 22. Februar im Ersten) spielen Sie eine selbstbewusste Ostberliner Kriminaltechnikerin an der Seite einer ebenfalls sehr selbstbewussten Ostberliner Kommissarin, gespielt von Nadja Uhl. Die Serie spielt 1991. Von den neuen Westkollegen lassen sich diese Frauen nicht die Butter vom Brot nehmen. Das ist sehr witzig – aber war die Stimmung wirklich so gelöst in dieser Umbruchzeit?

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Ich finde das sehr realistisch. So waren viele Frauen im Osten. Und ich finde es toll, dass wir das in der Serie so erzählen dürfen, auch wenn sich viele vielleicht wundern.

Ich wunderte mich darüber, dass die beiden so viel von dieser Stärke in die Umbruchzeit herüberretten können. Damals wurde ja in vielen Branchen als Erstes den Frauen gekündigt. Aber die beiden agieren so, als ob sie nichts zu verlieren hätten.

Sicherlich haben die beiden auch Ängste, aber die zeigen sie nicht. Sie haben sich entschieden, auf Konfrontation zu gehen. Wir sind keine Idioten, sagen sie. Wir haben auch Biografien, und auf die sind wir stolz. Wir merken ja auch heute, dass von der DDR geprägte Menschen einen gewissen Trotz an den Tag legen – wir haben eben darüber gesprochen, was leider auch daraus werden kann.

Warum kommt der Trotz jetzt wieder hoch? Und woraus speist er sich?

Ein Grund sind die Zurück­weisungen jener Jahre. Meine Familie und ich sind 1991 in den Westen gegangen. Als mein Bruder und ich in Norderstedt bei Hamburg eingeschult wurden, wollte man uns beide eine Klasse zurückstufen, einfach nur, weil wir aus Ostberlin kamen. Aber meine Eltern haben sich beschwert, und dann wurde das zurückgenommen.

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Sie waren damals 16 Jahre alt. Wollten Sie nicht viel lieber in Berlin bleiben?

Natürlich wollte ich viel lieber in Berlin bleiben. Aber es ging nicht. Ich war zur Wendezeit mit 14 Jahren bereits politisch interessiert. Ich habe Plakate geklebt und ein Tagebuch geführt, jeden Tag aufgeschrieben, was politisch passierte. Nun kam ich in dieses gesetzte, unveränderte West­deutschland, in dem sich niemand dafür interessierte. Keiner hat mal gefragt, was bei uns passiert war. Das war schon ein sehr harter Bruch.

Sie kehren wieder ans Hamburger Thalia-Theater zurück, spielen in einer Uraufführung eines Stücks der deutsch-georgischen Autorin Nino Haratischwili. „Das mangelnde Licht“ beschäftigt sich auch mit der Umbruchzeit nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Ist diese Epoche in Georgien vergleichbar mit der Ex-DDR?

Ich bin sehr glücklich, wieder am Thalia-Theater zu spielen und ein Teil von diesem wirklich supertollen Ensemble zu sein. Die Phase, die wir in dem Stück beleuchten, war in Georgien ein absolut rechtsfreier Raum, mit sehr viel Gewalt, Anarchie und Chaos. Das war bei uns längst nicht so extrem. Es ist ja schwierig genug, wenn so ein System zerbricht und sich alle Menschen neu orientieren müssen. Aber dort führte dieser Umbruch zu einer total verlorenen Generation.

Wer etwas werden wollte, musste ins Ausland gehen. Das Stück ist ein Rückblick auf diese Zeit. Eine meiner Figuren – ich spiele eine Doppelrolle – hat in den USA studiert, kehrt als Anwältin nach Georgien zurück und will diejenigen vor Gericht bringen, die in diesen Jahren so viel Unheil gebracht haben.

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