Anna Schudt als bedrohte Kommunalpolitikerin: "Wir müssen solche Filme definitiv machen!"

Anna Schudt als ehrenamtliche Ortsbürgermeisterin im ZDF-Drama "Die Bürgermeisterin": In einer kleinen Gemeinde irgendwo in Deutschland soll eine Unterkunft für Geflüchtete gebaut werden. Die Rechte macht dagegen mobil - und hat die Bürgermeisterin als Zielscheibe auserkoren. Leider alles andere als ein rein fiktionaler Stoff. (Bild: ZDF / Martin Valentin Menke)

Im ZDF-Drama "Die Bürgermeisterin" spielt Anna Schudt eine Ortsbürgermeisterin, in deren kleiner Gemeinde eine Unterkunft für Geflüchtete gebaut werden soll. Die Rechte macht dagegen mobil - und hat die Politikerin als Zielscheibe auserkoren. Leider alles andere als ein rein fiktionaler Stoff.

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen rechten Straftäter oder Fackelmärsche von Corona-Maßnahmen-Gegnern zum Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin: Gewalt und Einschüchterung von Politikern - oft auch auf lokaler Ebene - werden immer verbreiteter in Deutschland. Statistisch gesehen hat mehr als jeder zweite Amtsträger in der Kommunalpolitik bereits Erfahrungen mit Gewalt gemacht. Im ZDF-Drama "Die Bürgermeisterin" (Montag, 24. Oktober, 20.15 Uhr) spielt Anna Schudt die ehrenamtliche Ortsbürgermeisterin einer fiktiven kleinen Gemeinde, die in den Fokus der rechten Szene gerät. Ein Gespräch über die Gründe für den Hass in unserer Gesellschaft und darüber, wie Anna Schudt ohne ihr "Amt" als "Tatort"-Kommissarin in Dortmund als Schauspielerin weiterleben möchte.

teleschau: Lehnt sich der Film "Die Bürgermeisterin" an einen konkreten Fall an?

Anna Schudt: Nein, das Drehbuch ist eine Bündelung von Geschichten. Was aber gar nicht so relevant ist, weil mehr als die Hälfte aller Kommunalpolitiker bereits solche Erfahrungen mit Bedrohungen oder Gewalt gemacht hat. Auch die Stilmittel dieser Bedrohung sind immer ähnliche. Der Ortsbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt hat darüber ein Buch geschrieben. Er ist 2015 zurückgetreten, weil er sich von der NPD bedroht fühlte.

teleschau: Haben Sie das Buch gelesen?

Anna Schudt: Ja, ich habe es gelesen. Wobei es - wie gesagt - keine direkte Vorlage für den Film war. Es handelt sich um eine sehr persönliche Beschreibung, die am Ende natürlich auch hochpolitisch ist. Mir hat das Buch geholfen, um mich in die Gefühlswelt der Bürgermeisterin hineinzuversetzen.

Die Bürgermeisterin (Anna Schudt) muss sich gegen Angriffe der rechten Szene wehren. (Bild: ZDF / Martin Valentin Menke)
Die Bürgermeisterin (Anna Schudt) muss sich gegen Angriffe der rechten Szene wehren. (Bild: ZDF / Martin Valentin Menke)

"Wir haben mittlerweile ein Problem mit Gemeinschaft an sich"

teleschau: Wie konnte es denn dazu kommen, dass wir in Deutschland nicht mehr miteinander reden oder fair streiten, sondern öffentliche Personen so oft bedroht werden?

Anna Schudt: Ich glaube, wir haben mittlerweile ein Problem mit Gemeinschaft an sich. Kommunalpolitik spiegelt wider, wie unsere Gesellschaft in kleineren Gruppen funktioniert oder funktionieren sollte. Jeder sollte ein bisschen was zur Gemeinschaft beitragen und ein gewählter Vertreter oder ein Gremium bestimmt. Das ist die Idee von Demokratie. Was wir heute aber vorfinden, ist ein Denken im Sinne von "die" und "wir". Dann funktioniert es nicht mehr.

teleschau: Was kann man dagegen tun?

Anna Schudt: Wir müssen immer vor Ort und direkt miteinander sprechen. Es nutzt nichts, wenn wir allgemeine Aufrufe starten oder Gewalt verurteilen. Das ist zwar richtig, aber es bringt wenig. Der Dialog ist immer das wichtigste. Es geht um Kommunikation und das Miteinander. Der Mensch ist dazu fähig, wir sind als Gesellschaft dazu fähig - das haben wir alles schon bewiesen. Wir müssen nur damit anfangen, wieder Mitgefühl für die anderen zu haben. Momentan ist das zu wenig. Es sieht schon etwas düster aus gegenwärtig, das kann ich nicht anders sagen. Aber ich bin kein Mensch, der sich als Schwarzseherin wohlfühlt.

teleschau: Im Film tragen die sozialen Medien deutlich zur Hetze gegen die Bürgermeisterin bei. Was war zuerst da: der Hass in der Gesellschaft oder die sozialen Medien?

Anna Schudt: Ich würde sagen, die sogenannten sozialen Medien verhalten sich wie ein Megafon. Sie verstärken und verbreiten die Hass-Signale, aber sie sind nicht der Ursprung dieses Gefühls.

teleschau: Im Film bleibt es nicht bei virtueller Bedrohung. Es kommt zu einem "Spaziergang" zum Privathaus der Bürgermeisterin, der an den Fackelmarsch zum Haus der sächsischen Gesundheitsministerin im Rahmen der Corona-Maßnahmen-Proteste erinnert ...

Anna Schudt: Ja, man sieht im Film und in der Realität, wie sich virtueller Raum und direkte Konfrontation gegenseitig verstärken. Das Ergebnis ist eine persönliche Tragödie. Für die Bürgermeisterin, ihre Familie, die Demokratie. Wer will sich noch für die Allgemeinheit engagieren, wenn so ein Leben die Folge ist? Was der Film gut zeigt, finde ich, ist, dass immer Einzelschicksale hinter diesen Geschichten stecken. Genauso ist es bei den Geflüchteten, das sieht nur kaum jemand. Wir diskutieren gern über das große Ganze und vergessen, wie sich diese Dinge für den Einzelnen anfühlen.

Claudia (Anna Schudt) will mit Veith Landauer (Alexander Beyer) - dem lokalen Anführer der rechten Szene - reden, doch der lässt sie ziemlich abblitzen.

 (Bild: ZDF / Martin Valentin Menke)
Claudia (Anna Schudt) will mit Veith Landauer (Alexander Beyer) - dem lokalen Anführer der rechten Szene - reden, doch der lässt sie ziemlich abblitzen. (Bild: ZDF / Martin Valentin Menke)

"So geht die Gesellschaft kaputt"

teleschau: Sie sprechen von Kommunikation und Mitgefühl. Die Rechten im Film wollen aber gar keinen Austausch. Denen geht es darum, den Dialog kaputtzumachen ...

Anna Schudt: Dieser Herr Landauer, der im Film den rechten Anführer gibt, ist kein dummer Mensch. Trotzdem blockt er den Dialog ab. Er ist wie Teflon. An ihm gleitet alles ab, was an Argumenten in Richtung Problemlösung und Ausgleich geht. Der Landauer argumentiert nur mit seinen Leuten - in eine Richtung. Es ist eine geschlossene Gruppe mit geschlossenem Meinungsbild. Auch das kennen wir aus der Realität. Es ist wie bei den Verschwörungstheoretikern. Man kommt nicht mehr dazwischen, und so geht die Gesellschaft kaputt. Gemeinschaft funktioniert nur divers. Man muss einander zuhören wollen. Wenn man das nicht will, kann man gar nichts machen.

teleschau: Kann man denn mit einem Film wie "Die Bürgermeisterin" etwas erreichen oder schauen den ohnehin nur jene, die ohnehin zum "Team Dialog" gehören?

Anna Schudt: Selbst, wenn es so wäre - was ist die Alternative? Solche Filme nicht zu machen, weil man die andere Seite sowieso nicht mehr erreicht? Es wäre das deprimierendste, was ich mir persönlich vorstellen kann. Einfach aufgeben möchte ich nicht. Das wäre ja dann das Pendant zu jenen Kommunalpolitikern, die sich aus Angst und Frust zurückziehen. Individuell verständlich, aber gesellschaftlich ein schlimmes Signal. Wir müssen solche Filme definitiv machen.

teleschau: Aber was kann man über den - gut gemachten - Film lernen? Außer jene Zusammenhänge, die man ohnehin schon aus Politik und Gesellschaft kennt?

Anna Schudt: Beim fiktionalen Film geht es immer ums Fühlen, nicht so sehr ums Lernen. Trotzdem erfährt man auch etwas. Zum Beispiel, dass die Ortsbürgermeisterinnen und Ortsbürgermeister Ehrenamtliche sind, die für ihre Arbeit lediglich eine geringe Aufwandsentschädigung bekommen. Oder dass in dieser Geschichte Unfrieden, Hass und Leid über die Gemeinde kommen, ohne dass überhaupt etwas passiert ist. Kein einziger Flüchtling ist bisher gekommen, die geplante Unterkunft hat noch nicht mal ihren Baubeginn erlebt. Trotzdem liegt alles in Schutt und Asche.

Gewalt und Bedrohung haben sich in das Leben der Familie Voss geschlichen: Claudia Voss (Anna Schudt) steht vor einem beschmierten Transporter der Familien-Schreinerei.

 (Bild: ZDF / Martin Valentin Menke)
Gewalt und Bedrohung haben sich in das Leben der Familie Voss geschlichen: Claudia Voss (Anna Schudt) steht vor einem beschmierten Transporter der Familien-Schreinerei. (Bild: ZDF / Martin Valentin Menke)

"2022 ist deshalb ein Jahr des Übergangs für mich"

teleschau: Ein anderes Thema: Ihr Ausstieg aus dem Dortmunder "Tatort" hat viele Menschen schockiert. Vor allem natürlich, weil im Film niemand mit dem Tod Ihrer Figur gerechnet hatte. Genießen Sie jetzt Ihre Freiheit? War es das, was Sie sich gewünscht haben?

Anna Schudt: Ich habe mich durch den "Tatort" nie unfrei oder eingeschränkt gefühlt. Das klingt mir zu sehr nach Gefangenschaft (lacht). Ich habe diese Filme zehn Jahre lang sehr gerne gemacht, und es war immer eine freiwillige, persönliche Entscheidung. Genauso war es mit dem Ausstieg. Tatsächlich hat es mich überrascht, wie sehr ich mit der "Tatort"-Kommissarin identifiziert wurde. 2022 ist deshalb ein Jahr des Übergangs für mich. Ich freue mich drauf, ab jetzt wieder "nur" eine Schauspielerin zu sein. Eine, die ganz unterschiedliche Dinge macht.

teleschau: Sie sprechen von einem Jahr der Veränderung. In welcher Hinsicht müssen Sie sich neu finden?

Anna Schudt: Es ist ja eine Kontinuität, die da wegfällt. Ich habe eine Filmfamilie verloren. Das war ein toller Zusammenhalt von Menschen, die zusammen viele Filme erschaffen hat. Das ist in unserer Branche eine sehr emotionale Angelegenheit. Insofern geht da auch ein Lebensabschnitt zu Ende. Ich sehe meine Leute beim Dortmunder "Tatort" jetzt nur noch privat oder in anderen beruflichen Zusammenhängen. Das ist schon sehr anders. Es fühlt sich an, als würde man eine Festanstellung aufgeben und sich der Freiberuflichkeit aussetzen (lacht).

teleschau: Der nächste Dortmunder "Tatort" ist das Drehbuch-Debüt Ihres Langzeitpartners Jörg Hartmann, mit dem Sie in der Rolle ja eine zarte, aber große Liebesgeschichte verband. Werden Sie sich den Film vorher ansehen - oder müssen Sie ihn nun wie jeder andere Normalo im Fernsehen sehen?

Anna Schudt: Ich glaube schon, dass meine Kontakte noch ausreichen, dass ich mir den Film schon vorher mal anschauen darf. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt darauf, wie es ohne mich weitergeht. Wahrscheinlich werde ich beim Anschauen die ganze Zeit darauf warten, dass ich selbst gleich um die Ecke komme (lacht).

Persönliches Politdrama als ZDF-Fernsehfilm: Tochter Leonie (Jule Hermann, zweite von links) hat Geburtstag. Ihre Eltern Peter (Felix Klare, links) und Claudia (Anna Schudt) gratulieren. Auch der Personenschutz muss anwesend sein - zwei Polizisten sorgen für Wunderkerze und Ständchen. (Bild: ZDF / Martin Valentin Menke)
Persönliches Politdrama als ZDF-Fernsehfilm: Tochter Leonie (Jule Hermann, zweite von links) hat Geburtstag. Ihre Eltern Peter (Felix Klare, links) und Claudia (Anna Schudt) gratulieren. Auch der Personenschutz muss anwesend sein - zwei Polizisten sorgen für Wunderkerze und Ständchen. (Bild: ZDF / Martin Valentin Menke)