Diskriminierung und Macht: Sind die nett?

Freundlichkeit als politische Praxis wird oft unterschätzt. Es hilft manchmal, sich zu fragen: Ist mein Frust in dieser Runde angebracht?

Gelbe Luftballons mit Smileys in blauen Himmel

„Seid alle mal netter“, ist keine politische Forderung Foto: Roddscher/Panthermedia/imago

Dem Bewusstsein für die Taktik des Tone Policing haben wir es zu verdanken, dass „beruhig dich erstmal“ oder „komm mal runter“ nicht mehr als seriöse Reaktionen auf Diskussionsbeiträge durchgehen, sondern als das enttarnt werden, was sie sind: Eine rhetorische Strategie, andere Menschen mundtot zu machen und ihre Belange nicht ernst nehmen zu müssen.

„Mit deinem Argument“, spricht die Tonpolizei, „muss ich mich nicht auseinandersetzen. Es ist ungültig. Disqualifiziert dadurch, wie es vorgetragen wurde“. 
Zu laut, zu emotional, zu harsch, zu wütend – so lautet oft der Vorwurf, wenn von Diskriminierung betroffene Personen für sich einstehen und ja: Auch mal emotionaler in eine Diskussion involviert sind, weil das Thema sie verdammt nochmal persönlich betrifft.

Doch wie bei vielen guten machtkritischen Konzepten lohnt es sich auch beim Vorwurf des Tone Policing, immer mal wieder genauer hinzuschauen, ob er nicht auch zum Machterhalt oder gar Machtmissbrauch eingesetzt werden kann. Nicht jede Bitte danach, nicht angeschrien zu werden, ist gleich Tone Policing. Ich beobachte immer wieder, dass eigene Ruppigkeit und Unfreundlichkeit damit abgetan wird, dass das eben die Art sei, wie man sich ausdrückt. Ich war Teil eines Gesprächs, in dem jemand ausfallend und beleidigend wurde und, damit konfrontiert, nur meinte, man solle hier nicht die Tonpolizei spielen.

Mich strengt das besonders an, wenn Gleichgesinnte zusammenkommen: In politischen Räumen oder Safer Spaces. Zumindest an solchen Orten sollten wir uns mit mehr Wohlwollen begegnen und auch mal den Blick von unseren eigenen Emotionen weg auf die unseres Gegenübers lenken. Unfreundlichkeit kann auch eine Barriere sein. Als Person mit einem gewissen Grad von Sozial­angst ist meine erste Frage nach einer Einladung: „Sind die nett?“


Frust auf die Straße tragen

Wir können uns nicht immer entscheiden, ob wir auf etwas wütend oder verständnisvoll reagieren. Wenn es in einer bestimmten Situation die Wut sein muss, dann raus damit! Aber ich denke, viele von uns kennen diese Momente, in denen es auf der Kippe steht. Wenn es tatsächlich eine Entscheidung ist, ob wir ausgerechnet in dieser Runde unseren Frust über jahrzehntelange Unterdrückung herauslassen oder ob wir ein bisschen Druck und Unbehagen aushalten, um Gespräche zu ermöglichen. Vielleicht kann daraus etwas entstehen. Vielleicht tragen wir den Frust später dann gemeinsam auf die Straße.

Tone Policing ist scheiße, aber Freund*innen, Ge­nos­s*in­nen und Verbündete ungefiltert mit der eigenen Wut und Übellaunigkeit zu konfrontieren leider auch.
 Mein Leben wurde schon oft besser, weil jemand unerwartet nett war. Freundlichkeit wird als politische Praxis unterschätzt. Klar: Seid alle mal netter, ist keine politische Forderung. Also lasst uns entspannte Strukturen schaffen, in denen wir uns freundlich und mit Wohlwollen begegnen können.

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Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.

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