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PolitikEuropa

EU-Gipfel: Ungarn und der Regenbogen

24. Juni 2021

EU-Kommission und Ungarns Premier beharken sich wegen der Diskriminierung von Homosexuellen. Ein eher farbloser Gipfel könnte in Regenbogenfarben leuchten. Bernd Riegert aus Brüssel.

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Brüssel leuchtet in Regenbogenfarben: Solidarität mit Schwulen und Lesben in UngarnBild: Bernd Riegert/DW

Kurz vor dem EU-Gipfel an diesem Donnerstag hat sich die Kontroverse zwischen Ungarn und der Europäischen Kommission um das umstrittene ungarische Gesetz zu den "homosexuellen Einflüssen" noch einmal zugespitzt. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban bezeichnete die heftige Kritik der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an dem Gesetz als "beschämend" für die Kommission.

Von der Leyen hatte Orban einen Protestbrief geschrieben und rechtliche Schritte gegen das ungarische Gesetz angekündigt, weil es eine "Schande" und "klar diskriminierend" gegen eine bestimmte sexuelle Orientierung gerichtet sei. "Ich glaube an eine Europäische Union, in der man frei entscheiden kann, wen man liebt", hatte von der Leyen in Brüssel erklärt.

17 Chefs und Chefinnen von Regierungen und EU-Staaten haben vor dem Gipfel einen Brief an die Präsidentin der EU-Kommission und den Präsidenten des Europäischen Rates geschrieben. In diesem Schreiben kritisieren die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in der EU als nicht hinnehmbar. Das Gesetz des ungarischen Parlaments wird zwar nicht ausdrücklich genannt, aber es ist klar, wer gemeint ist. Es ist sehr ungewöhnlich, dass die Regierungschefs die Zustände in einem anderen Mitgliedsland so direkt schriftlich noch vor einem Treffen ansprechen.

Regenbogen-Flagge in Brüssel

Der Streit um das Gesetz, das die Darstellung von homosexuellen Lebensweisen in Medien verbietet, die Kindern zugänglich sind,  wird beim Abendessen der Führungsrunde angesprochen. EU-Ratspräsident Michel habe das angekündigt, berichten EU-Diplomaten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte das ungarische Gesetz als falsch bezeichnet. Viktor Orban verteidigte das Gesetz in einem dpa-Interview. Die Aufklärung heranwachsender Kinder gehöre ins Elternhaus. "Wir schützen diese Aufgabe der Eltern".

14 von 27 EU-Europaministern hatten sich bereits am Dienstag der Kritik an der ungarischen Regierung angeschlossen. Vor allem osteuropäische Mitgliedsstaaten hielten sich aber mit Stellungnahmen zurück. Besondere Aufmerksamkeit hat dieser neuerliche Streit zwischen Budapest und Brüssel durch die Absage des Fußballverbandes UEFA bekommen, das Münchner Fußballstadion in den Regenbogen-Farben der LGBTQ-Gemeinschaft anzustrahlen.

Die Stadt München wollte den Regenbogen anlässlich des Fußball-Europameisterschaftsspiels Ungarn-Deutschland am Mittwoch leuchten lassen. Der zur Neutralität verpflichtete Fußballverband UEFA untersagte das als politische Stellungnahme. Aus Solidarität mit München hat der Bürgermeister von Brüssel den zentralen Platz der belgischen Hauptstadt am Mittwochabend in den Regenbogenfarben leuchten lassen.Der Streit um das ungarische Gesetz könnte auf dem Gipfeltreffen der EU zu einer größeren Debatte um die Rechtsstaatlichkeit nicht nur in Ungarn, sondern auch in Polen oder Slowenien führen, meinten EU-Diplomaten im Vorfeld des Treffens. Seit Jahren laufen Verfahren der EU-Kommission und des Ministerrates gegen Ungarn und Polen. Der Europäische Gerichtshof hatte zum Bespiel Polen angewiesen, die Unabhängigkeit seiner Richter wieder sicherzustellen. Bislang ohne Erfolg.

Proteste in Budapest gegen Orbans Anti-LGBTQ-Gesetz
Protest in Budapest gegen Orbans Anti-LGBTQ-Gesetz (14.06.2021)Bild: MARTON MONUS/REUTERS

Bulgarien blockiert Erweiterung

Wenig Freude dürften die Gipfelteilnehmerinnen und -teilnehmer auch mit einem anderen Mitgliedsland haben: Bulgarien. Die Regierung in Sofia weigert sich beharrlich, ihr Veto gegen den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Nordmazedonien aufzugeben. 26 Staaten sind dafür, Bulgarien mauert. Nordmazedonien erfüllt zwar alle Kriterien der EU-Kommission für den Startschuss, aber Bulgarien fordert von Skopje weitere Erklärungen zu kulturellen und historischen Fragen und einen ausdrücklichen Verzicht auf Gebietsansprüche gegenüber Bulgarien. Seit dem Start der EU-Verhandlungen blockiert Bulgarien wegen des Streits um die teils gemeinsame Geschichte. 

Treffen des mazedonischen Premierministers Zoran Zaev mit Amtskollege Stefan Yanev in Sofia
Nordmazedoniens Premier Zaev (li.), Bulgariens Premier Yanev: Keine Annäherung beim letzten Treffen Bild: Government North Macedonia

Seit einen Jahr bereits hängt Nordmazedonien deshalb in der Warteschleife. Und auch Albanien kann wegen des bulgarischen Vetos seinen Beitrittsprozess nicht fortsetzen, weil es mit Nordmazedonien zusammen als "Erweiterungspaket" von der EU behandelt wird. Die Frustration ist groß.

Der deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, forderte Sofia vor dem Gipfel noch einmal ausdrücklich auf, endlich einzulenken. Der bulgarische Europa-Minister Rumen Alexandrov verwies darauf, dass man mit der nächsten, der slowenischen Ratspräsidentschaft im Juli, weiter verhandeln werde. Mit anderen Worten: Beim Gipfeltreffen an diesem Donnerstag ist keine Bewegung zu erwarten.

Offizieller Gipfel eher farblos

Auf der offiziellen Tagesordnung des Europäischen Rates stehen nur vier magere Stichworte: COVID-19, Wiederaufbau, Migration und Außenpolitik. Bis zum Nachmittag des Vortages lagen nur sehr allgemeine Entwürfe für eine Abschlusserklärung des Gipfeltreffens vor. Die Bundeskanzlerin verzichtete sogar auf das sonst übliche Briefing für Korrespondenten in Brüssel, die über den vermutlich letzten regulären Gipfel der scheidenden Angela Merkel berichten sollen. Das deutet daraufhin, dass es wenig Substanzielles zu entscheiden oder es heftigen Streit in einzelnen Fragen gibt, der die normalerweise vorformulierten Gipfel-Dokumente unmöglich macht.

Infografik Karte Nordmazedonien und Bulgarien EN

Türkei: Keine Beschlüsse

In der Außenpolitik wird das Verhältnis zur Türkei behandelt werden. Beschlüsse werden nicht fallen, meinen EU-Diplomaten, die die Runde der EU-Staats- und Regierungschefs vorbereiten. Die Türkei soll laut Entwurf der Gipfelerklärung ermutigt werden, ihren Konflikt um die Gas-Exploration mit Zypern und Griechenland weiter zu entschärfen.

"Der Europäische Rat bekräftigt die Bereitschaft der EU, mit der Türkei auf eine angepasste, proportionale und umkehrbare Art und Weise die Zusammenarbeit zu verstärken, und zwar auf Feldern gemeinsamer Interessen", heißt es in dem Gipfelpapier. Das hatten die Staats- und Regierungschefs bereits im März auch so niedergelegt. Vor allem möchte die EU den Migrationspakt mit der Türkei erneuern. Sie hält gegen Geld- und Hilfsleistungen syrische Flüchtlinge im Land. Bislang wurden sechs Milliarden Euro von der EU gezahlt, weitere 3,5 Milliarden sind im Gespräch.

Ein Regenbogen in der Nähe des Reichstagsgebäudes in Berlin
Regenbogen in Berlin: Auch von Kanzlerin Merkel kommt Kritik am ungarischem GesetzBild: dapd

Dieses Abkommen aus dem Jahr 2016 ist zurzeit nur vorläufig verlängert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt die Vereinbarung als politisches Faustpfand gegenüber der EU ein. Die kritisiert die Menschenrechtslage und die Unterdrückung von Medien und Opposition durch Ankara, ist aber dennoch zu einem weichen Kurs bereit.

"Ohne der Kooperation mit der Türkei erreichen wir gar nichts", hatte Bundeskanzlerin Merkel nach einem vorbereitenden Gespräch mit Italiens Premier Mario Draghi am Montag in Berlin gesagt. 

Russland: Neue Strategie

Auch über die schlechten Beziehungen zwischen der EU und Russland soll beim Abendessen am Donnerstag gesprochen werden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell stellt eine Strategie vor, wie der Dialog mit Moskau wieder angeschoben werden könnte, um über die Konfliktfelder Ukraine, Belarus und Oppositionelle wie Alexej Nawalny sprechen zu können.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union