Meine Podcasts live und vor Publikum – bitte nicht!

Podcasttagebuch Live-Mitschnitte gehören bei Podcasts inzwischen zum guten Ton. Doch Podcaster:innen verändern sich vor Publikum
Ausgabe 37/2022
Jan Böhmermann (links) und Olli Schulz auf der Bühne
Jan Böhmermann (links) und Olli Schulz auf der Bühne

Foto: picture alliance/dpa/Fabian Sommer

Ich bin ein Gewohnheitstier. Ich sage das nicht gerne, denn die Gewohnheit hat keinen sonderlich guten Ruf. Von den gewohnten Pfaden ist es nicht weit zu Langeweile, Stillstand und Spießertum, über den inneren Schweinehund zum Autowaschen am Samstag und „das haben wir schon immer so gemacht“. Was aber Podcasts angeht, da bevorzuge ich genau das. Das Gewohnte. Nicht, dass ich keine neuen Formate ausprobieren würde. Aber wenn ich einen Podcast regelmäßig höre, dann weil er so ist, wie er ist.

Was ich dagegen nicht brauche, das sind Live-Mitschnitte. Aber ausgerechnet die gehören bei Podcasts, die etwas von sich halten, inzwischen – sorry – zum guten Ton. Der Live-Podcast scheint so etwas wie der Olymp für viele Podcaster:innen zu sein. Ich verstehe das schon – wenn Veranstalter einem Podcast zutrauen, einen Saal zu füllen, wenn dieser Saal dann am Ende tatsächlich voll wird, dann ist das natürlich ein Gütesiegel. Schade nur, dass diese Folgen so schwer erträglich sind.

Neulich war es zum Beispiel bei Fest & Flauschig wieder einmal so weit. Die Hosts Jan Böhmermann und Olli Schulz waren live bei der Internationalen Funkausstellung im IFA-Sommergarten zu hören – beziehungsweise zu sehen. Dem Vernehmen nach sollen eine ganze Menge Menschen vorbeigekommen sein, was bei den beiden Gastgebern vermutlich auch nicht weiter verwunderlich ist. Verwunderlich war dagegen, dass sich in der Folge bei mir ein Gefühl der Fremdscham einstellte, wie man sie von Familienfeiern oder Schulsommerfesten kennt. Es hatte etwas Entzauberndes, die Witze von Olli Schulz und Jan Böhmermann klangen vor Publikum mau. Auf einmal waren das einfach zwei nicht mehr ganz junge Typen, die darauf schauten, ob die Leute ihre mehr oder weniger pubertären Ohrenschmalz-Witze gut finden. Was noch nervt: das Geklatsche der Leute.

So geht es mir eigentlich immer bei diesen Live-Formaten. Ich bin von großem Unbehagen erfüllt. Weil sich die Podcaster:innen vor Publikum verändern. Und Fest & Flauschig ist da längst nicht das einzige Format. Zeit Verbrechen, der politische Wochenrückblick Lage der Nation oder der Politik-Podcast des Deutschlandfunks. Überall muss Publikum her. Und überall muss man den Hosts bei ihren Versuchen zuhören, das anwesende Publikum zu erheitern oder anderweitig zu beeindrucken. Kann man alles machen – nurist es dann eben keine gewöhnliche Podcast-Episode mehr. Die (vorgebliche) Intimität zwischen Podcaster:in und Zuhörer:in, die Entspanntheit, die sich aus dem Podcast-spezifischen Zwiegespräch in einem scheinbar geschützten Raum ergibt – all das fehlt. Stattdessen wird munter vor dem anwesenden Publikum geflext.

Überhaupt das Publikum. Auch so ein Problem dieser lästigen Live-Folgen: Ich möchte keine anderen Zuhörer:innen haben neben mir, ich möchte nicht, dass andere Leute das witzig finden, was ich witzig finde. Da fühle ich mich gleich weniger individuell. Und Individualität, das ist harte Währung in unserem Zeitalter.

Insofern ist meine Abneigung gegenüber diesen Sonderfolgen vielleicht auch einfach gekränkte Eitelkeit. Oder die Erkenntnis, dass das Live-Format letztlich die parasoziale Beziehung zwischen Podcast-Hosts und mir als Zuhörer offenlegt: „Eine parasoziale Beziehung ist, dass Leute uns hören und denken, dass wir eine riesengroße Freundesclique sind, dass wir am WG-Küchentisch miteinander reden. Dabei reden wir einfach nur so und wenn man dabei ist, ist man nicht Teil, aber man glaubt, dass man Teil dieser Beziehung ist.“

So hat es Jan Böhmermann in einer Folge nach dem Live-Auftritt beschrieben. Da hat er vermutlich recht und ich lasse mir das auch gerne sagen. Solange es nur im gewohnten Rahmen geschieht.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

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