Bei Gasmangel: Britischer Netzbetreiber stimmt Verbraucher auf Stromausfälle ein

Der Betreiber des britischen Elektrizitätssystems setzt auf einen "Flexibilitätsdienst", um die Gesamtnachfrage zu senken. Dies könnte aber nicht ausreichen.

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Überlandstromleitung

Überland-Stromleitung

(Bild: heise online / anw)

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Engpässe bei der Versorgung mit Gas, das im vergangenen Jahr 40 Prozent der britischen Stromproduktion ausmachte, könnten in diesem Winter in einigen Gebieten des Vereinigten Königsreichs vor allen in windstillen Phasen zu geplanten temporären Stromausfällen führen. Davor hat der nationale Betreiber des britischen Elektrizitätssystems in seinem Ausblick auf die kalten Monate bis Ende März am Donnerstag gewarnt. Dieser erfolgte "vor dem Hintergrund beispielloser Turbulenzen und Volatilität auf den Energiemärkten in Europa und darüber hinaus" infolge Russlands Invasion der Ukraine.

Engpässe bei der Gasversorgung auf dem Kontinent könnten "eine Reihe von Auswirkungen in Großbritannien nach sich ziehen", führt der National Grid Electricity System Operator (ESO) aus. Dieser nimmt auf der Insel mehrere wichtige Funktionen wahr, die vom sekündlichen Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage über die Entwicklung der Märkte bis hin zur Beratung bei Netzinvestitionen reicht.

Die zentrale Ansicht des ESO ist laut seinem Basisszenario: Es wird über den Winter hinweg angemessene Margen mit 3,7 Gigawatt (GW) geben, um sicherzustellen, dass Großbritannien "innerhalb des Zuverlässigkeitsstandards bleibt". Dieser besagt, dass Verbraucher Stromausfälle von bis zu drei Stunden in Kauf nehmen müssen. Die Modellierung zeigt laut dem Systembetreiber, dass auf Kunden "im Basisfall" eingeschränkte Abschaltungen von 0,2 Stunden zukämen. Dies liege "weit unter dem Standard".

Zugleich geht der ESO aber davon aus, dass "wir viele der Instrumente" des verfügbaren operativen Werkzeugkastens nutzen müssen, um gegebenenfalls Abhilfe zu schaffen. Dazu gehörten sogenannte Systemhinweise. Diese könnten bedeuten, "dass wir die Erzeuger auffordern, die Stromgeneration hoch- oder runterzufahren". Alternativ denkbar sei der Appell, "die Nachfrage zu erhöhen oder zu senken".

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Prinzipiell gehe man davon aus, dass die Kapazitäten aller Anbieter etwa zur Erzeugung, Speicherung und Zusammenschaltung "entsprechend den im Rahmen des Kapazitätsmarktes eingegangenen Verpflichtungen verfügbar sind", unterstreicht der Betreiber. Trotzdem habe man vorsichtshalber ein Szenario entworfen, "in dem die Energiekrise in Europa dazu führt", dass kein Strom vom Kontinent für den Import nach Großbritannien verfügbar sei. Dies könnte auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen sein, einschließlich eines Gasmangels in Europa beziehungsweise diverser Ausfällen in Kraftwerken und weiterer Stromerzeugungsanlagen in einem anderen Land.

Für diesen "hypothetischen" Fall will der ESO Abhilfen bereithalten. Dazu zählt er einen "neuen und innovativen Flexibilitätsdienst auf der Nachfrageseite". Für die Verbraucher sollen damit Anreize geschaffen werden, den Verbrauch zu reduzieren beziehungsweise den Strom "zu wichtigen Zeiten abzuschalten, um die Gesamtnachfrage im ganzen System zu senken".

Der Betreiber sieht hier "ein besonderes Potenzial bei kommerziellen Einrichtungen, die ihre Last aus den Spitzenzeiten verlagern können". Man habe diesbezüglich bereits "positive Rückmeldungen von britischen Unternehmen erhalten".

Parallel sollen aber auch Haushalte dafür bezahlt, dass sie etwa ihre Waschmaschinen in der Nacht laufen lassen oder ihre Elektroautos außerhalb der Spitzenzeiten aufladen. ESO-Manager Jake Rigg sprach laut einem Bericht des "Independent" bei der Präsentation des Ausblicks von einem "intelligenten Weg für die angemeldeten Verbraucher in Haushalten und Unternehmen, Geld zu sparen und Großbritannien zu unterstützen". Das Angebot soll prinzipiell von November bis März verfügbar sein, aber nur greifen, wenn Not am Mann ist.

Der ESO hat nach eigenen Angaben mit Lieferanten, Aggregatoren, der Industrie und Regulierungsbehörden am Design dieses Dienstes gearbeitet, um sicherzustellen, dass das System für den Winter bereitsteht und die erwünschten Effekte erzielen kann. Er geht davon aus, dass das Instrument die Nachfrage um bis zu 2 GW reduzieren könnte. Dies sei genug, um etwa 600.000 Häuser und Wohnungen zu versorgen. Zudem habe man drei Verträge mit Betreibern von Kohlekraftwerken abgeschlossen. Diese hielten damit fünf Blöcke offen, um im Bedarfsfall noch einmal bis zu 2 GW zusätzlichen Strom zu erzeugen.

Über die sogenannte "Demand-side Flexibility" (DSF) im Energiebereich, bei der die Briten jetzt vorpreschen, wird derzeit viel diskutiert. Laut einer aktuellen Studie könnten die Verbraucher in der EU mit mehr "Flexibilität auf der Nachfrageseite" Milliarden pro Jahr sparen. Zugleich ließen sich jährlich 37,5 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen vermeiden. Zu einschlägigen Instrumenten zählen Optionen für Bürger und Unternehmen, unbegrenzt Strom aus Photovoltaik- und Windanlagen ins Netz einzuspeisen, dynamische Tarife gekoppelt mit intelligenten Stromzählern, virtuelle Kraftwerke, Batterie-Pooling etwa über E-Autos und Smart Grids. Parallel gibt es auch hierzulande immer wieder Warnungen vor Blackouts. Experten und Behörden raten zum Energiesparen.

(tiw)