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Droht im Winter ein Gasmangel? Energieexperte: „Einsparung macht Hoffnung“

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Ein Erdgas-Rohr
Droht im Winter eine Gasmangellage? Jarusch Müßel von der Hertie School Berlin hat Hoffnung, dass es nicht so weit kommt. © IMAGO / Sven Simon /Jarusch Müßel

Die Verbraucher in Deutschland haben ihren Gasverbrauch massiv reduziert. Doch kann damit eine Mangellage vermieden werden? Ein Experte klärt auf.

München/Berlin – Erst Ende September warnte Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller auf Twitter vor einer Gasmangellage. „Dringende Bitte: Gas sparen!“, sagte Müller mit Blick auf die Verbraucher. Während die Industrie von Experten regelmäßig für ihre Einsparungen gelobt wurde, wurden die Privathaushalte dazu aufgefordert, noch mehr Gas zu sparen.

Doch Untersuchungsergebnisse mehrerer Forscher der Hertie School in Berlin zeigen, dass auch Privathaushalte schon jetzt ordentlich auf die Gas-Bremse gedrückt haben. Besonders in den vergangenen Monaten konnte viel eingespart werden, erklären die Energie-Experten Lion Hirth, Oliver Ruhnau, Clemens Stiewe und Jarusch Müßel in ihrer Abhandlung zur Energieeinsparung.

Gas-Einsparungen: Verbraucher haben ihr Verhalten geändert

Kommt Deutschland dank dieser Einsparungen also über den Winter? Muss die Industrie somit keinen Gas-Lieferstopp befürchten und wie sieht es im Jahr 2023 mit der Gasversorgung aus? Antworten dazu liefert Co-Autor der Studie Jarusch Müßel im Interview mit Merkur.de.

Herr Müßel, in der Vergangenheit haben viele Beobachter moniert, dass private Haushalte zu wenig Gas einsparen würden. Aber Ihre Untersuchungen zeigen nun, dass private Haushalte ihren Verbrauch zuletzt überraschend deutlich um 30 Prozent (sechs Terawattstunden) reduziert haben. Wie erklären Sie sich das? War das wirklich nur das warme Wetter?

Nein, denn in unseren Ergebnissen wurden Temperatureffekte bereits berücksichtigt. Die gut sechs Terawattstunden (TWh) Einsparungen im September beruhen daher auf Verhaltensänderungen und sind nicht dem Wetter geschuldet. Insgesamt muss man zwischen relativen Einsparungen in Prozent und absoluten Einsparungen in TWh unterscheiden und beachten, dass der Gasverbrauch deutscher Haushalte saisonal sehr unterschiedlich ist. Im Winter wird durchschnittlich circa dreimal so viel Gas verbraucht wie im Sommer. Das heißt: Wenn wir im Sommer eine bestimmte Menge Gas einsparen, macht das einen größeren relativen Anteil aus als die gleiche Menge im Winter. 

Gaseinsparungen der Industrie und der Kleinverbraucher in Deutschland
Besonders im September konnten die deutschen Kleinverbraucher große Mengen Gas einsparen. ©  Lion Hirth/Oliver Ruhnau/Clemens Stiewe/Jarusch Müßel/Gas demand in times of crisis: energy savings by consumer group in Germany

Gas-Experte: „Industrie ist es gelungen, die Produktion teilweise vom Gasverbrauch zu entkoppeln“

Wegen der großen Einsparungen in der Industrie und bei den privaten Verbrauchern haben sich die deutschen Gasspeicher zuletzt schneller gefüllt als gedacht. Inzwischen sind die Speicher praktisch wieder voll. Kommt Deutschland damit über den Winter, vorausgesetzt, dass es in den nächsten Monaten nicht kälter wird als sonst?

Die vollen Gasspeicher sind ein guter und wichtiger Schritt für einen Winter ohne Gasmangellage. Gleichzeitig fassen die Speicher nur 230 TWh. Damit können sie circa ein Viertel des Jahresverbrauchs decken oder uns für etwa zwei Wintermonate versorgen. Es hängt also auch vom Wetter ab, ob die Einsparungen reichen werden. Die in Summe circa 30 Prozent (18 TWh) Einsparungen im September machen Hoffnung, die nationalen und EU-Ziele von 20 Prozent beziehungsweise 15 Prozent zu erreichen. Angenommen wir sparen weiterhin monatlich ca. 18 TWh – dann würden wir über zwölf Monate gerechnet mehr als 200 TWh Gas sparen. Das entspricht mehr als 40 Prozent der russischen Gasimporte im Jahr 2021.

In den vergangenen Monaten haben viele Beobachter angesichts des Gasmangels vor allem vor möglichen Produktionsunterbrechungen wegen Gasmangels in der Industrie spekuliert. Ist dieses Horrorszenario jetzt vom Tisch?

Seitdem die Gaspreise über 50 Euro pro Megawattstunde (MWh) im September 2021 gestiegen sind, zeigen unsere Ergebnisse steigende Gaseinsparung von bis zu 6 TWh (19 Prozent) im September 2022. Gleichzeitig ist die Industrieproduktion relativ konstant geblieben. Daraus leiten wir ab, dass es der Industrie gelungen ist, die Produktion zumindest teilweise vom Gasverbrauch zu entkoppeln. Ein gutes Beispiel hierfür ist Ammoniak, ein in der Herstellung sehr erdgasintensiver Grundstoff, der zum Beispiel für die Herstellung von Dünger verwendet wird. Bei relativ konstanter Düngerproduktion ist die heimische Produktion von Ammoniak gesunken, während die Ammoniakimporte gestiegen sind. Die Wertschöpfungskette wurde hier also erfolgreich aufrechterhalten, indem heimische Produktion kurzfristig heruntergefahren und durch Importe ersetzt wurde. Sicherlich sind solche Anpassungen nicht für alle Produktionsprozesse gleichermaßen möglich. Gleichzeitig deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass in der Industrie an vielen Stellen sinnvolle unternehmerische Entscheidungen zu Gaseinsparungen getroffen wurden und diese bisher eine deutliche Wirkung entfalten.

Gaspreisbremse: Wird trotzdem noch gespart?

Um Verbraucher zu entlasten, plant die Bundesregierung eine Gaspreisbremse. Demnach sollen die Haushalte für 80 Prozent ihres Verbrauchs 12 Cent pro Kilowattstunde (kWh) zahlen. Oberhalb dieser Marke wird dann aber der aktuelle Marktpreis fällig. Damit soll der Sparanreiz erhalten bleiben. Wie wahrscheinlich ist es, dass Privathaushalte ihren Gasverbrauch wirklich um 20 Prozent reduzieren?

Die Septembereinsparung in Höhe von 36 Prozent macht Hoffnung, dass wir am Ende des Winters dieses Ziel erreichen. Die Gaspreisbremse erhält den Sparanreiz, da jede gesparte kWh den Haushalten und Unternehmen Geld bringt – und zwar auch, wenn mehr als 20 Prozent gespart werden. Gleichzeitig werden Privathaushalte bei sehr niedrigen Temperaturen prozentual weniger einsparen können, ohne Grundbedürfnisse zu vernachlässigen. Insgesamt bin ich angesichts der sinnvollen Vorschläge der Gaskommission und der bisherigen Einsparerfolge optimistisch, dass wir unseren Gasverbrauch insgesamt um 20 Prozent reduzieren können.

Viele Experten wie der bekannte Klimaökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung glauben, dass die große Herausforderung ohnehin erst 2023 kommt. Dann muss Deutschland wohl ganz ohne russisches Gas auskommen und den Energiebedarf anders decken. Steht uns die wahre Herausforderung also erst für 2023 bevor?

Welches Jahr herausfordernder wird, hängt – neben unseren Sparbemühungen und der Ausweitung des Angebots anderer Energieträger – auch von den Temperaturen ab. Die ersten beiden Punkte liegen dabei in unserer Hand. Wir haben einen weiteren Sommer lang Zeit, um Wärmepumpen zu installieren, Häuser zu isolieren, und den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. Wir werden voraussichtlich kein russisches Gas mehr importieren, aber das werden wir durch den Bezug von Gas aus anderen Ländern teilweise auffangen können.

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