Danach mag man sich kein Ei mehr in der Pfanne braten: Todd Haynes arbeitet im Film „Vergiftete Wahrheit“ den Skandal um Teflon aus.

Eigentlich nur ein Missverständnis. Ein Viehzüchter aus der Provinz sucht einen Anwalt, der ihn gegen einen Chemie-Konzern vertreten soll. Eine ältere Nachbarin empfiehlt ihren Enkel in Cincinatti. Robert Bilott aber ist kein Umwelt-, sondern ein Unternehmensanwalt. Der obendrein gerade in eine renommierte Kanzlei eingestiegen ist, die genau solche Chemie-Konzerne vertritt. Entsprechend ist Bilott nicht sehr erbaut von dem ungehobelten Landei in seinem Büro. Und geht dem Fall nur aus Höflichkeit nach.

Das Gutachten des Konzerns, das die Mülldeponie neben dessen Farm als harmlos ausweist, bringt er immerhin persönlich vorbei. Aber dabei wird er fast von einer irre gewordenen Kuh überrannt, die der Bauer dann erschießen muss. Das letzte von 200 Tieren, die er einst besaß und die alle verendet sind. Wegen, wie der Klient meint, der Deponie. Und so beginnt Robert Bilott doch gründlicher zu recherchieren.

Recherche für ein ganzes Leben

„Vergiftete Wahrheit“, der am 8. Oktober ins Kino kommt, ist eine Art männlicher „Erin Brockovich“. Auch das ein Film nach einer wahren Begebenheit. Über eine skandalöse Umweltverschmutzung. Und einen einsamen Kampf gegen einen übermächtigen Konzern, David gegen Goliath. Nur dass es sich in diesem Fall um einen Umweltskandal handelt, der längst globale Ausmaße angenommen hat. Und im Gegensatz zu ähnlichen Justizdramen gibt es hier kein Happy End, das den den Kinozuschauer aufatmend entlässt.

„Vergiftete Wahrheit“: der Trailer zum Film

Bei seiner Recherche werden dem Rechtsanwalt erst Steine in den Weg gelegt. Und dann eine ganze LKW-Fuhre von Akten ins Büro gewuchtet, für deren Verarbeitung er ein Leben lang brauchen würde. Nur setzt sich dieser Mann unbeirrt an diese Sisyphos-Arbeit.

Auf der Farm seines Klienten Wilbur Tennant (Bill Camp, l.) wird Bilott beinahe von einer irren Kuh überrannt.
Auf der Farm seines Klienten Wilbur Tennant (Bill Camp, l.) wird Bilott beinahe von einer irren Kuh überrannt. © Tobis | Mary Cybulski

Dabei schwirrt auch dem Zuschauer bald der Kopf. Weil Bilott erst auf ein Kürzel stößt, von dem keiner weiß, was es bedeuten soll: PFOA. Und sich dann eine C8-Formel erklären lässt, die auch nicht jeder versteht, der in der Schule kein Ass in Chemie war. Aber dann fällt ein Wort, das jeder kennt: Teflon. Und spätestens da wird der Zuschauer hellhörig.

Teflon, so lernt man in diesem Film, wurde einst für militärische Zwecke eingesetzt, als Beschichtung für Panzer. Weil das Material nicht brennbar ist und praktisch alles an sich abperlen lässt, wurde es aber bald auch für zivile Produkte verwendet und steckt längst in Küchengeräten, Kleidung, Gebrauchsgegenständen. Ein Milliardengeschäft. Bei dessen Herstellung entstehen indes giftige Substanzen. Lange wurde der Giftmüll illegal entsorgt. Wie bei jenem Farmer, der den Stein ins Rollen bringt.

Die Substanzen landeten im Grundwasser. Die Gefahr lauerte, und das hört man gerade jetzt in Corona-Zeiten besonders ungern, im Händewaschen. Im Zuge seiner Recherchen stößt Bilott aber auch darauf, dass Arbeiter bei der Teflon-Herstellung Krankheitssymptome aufwiesen, dass das Unternehmen davon wusste und es doch verschwieg. Über vier Jahrzehnte lang.

Kanzleichef Tom Terp (Tim Robbins) ist zunächst nicht begeistert von Bilotts Fall.
Kanzleichef Tom Terp (Tim Robbins) ist zunächst nicht begeistert von Bilotts Fall. © Tobis | Mary Cybulski

Es ist eine dieser zynischen Fälle, in der ein übermächtiger Konzern – hier der Chemieriese DuPont - selbst staatliche Organe wie die Umweltbehörde an der Nase herumführt, alle Anschuldigungen erst wie Teflon an sich abperlen lässt und einen schließlich doch eingeleiteten Gerichtsprozess über Jahre zu verschleppen weiß, um die Kläger und den Anwalt zu zermürben.

Schnörkellos, fast chronologisch inszeniert

Und es ist ein trauriger Running Gag dieses Films, dass Mark Ruffalo als Robert Bilott dauernd Computer anwirft, die immer moderner werden, und dabei seine Kinder vernachlässigt, die immer größer geworden sind.

Oft weiß die eigene Familie Bilotts aufopferungsvolle Arbeit nicht zu würdigen, weil darüber das Familienleben zu kurz kommt. Erst recht nicht die Kanzlei, der Bilott keinen einzigen neuen Klienten einbringt. Bilott selbst leidet wegen des hochbrisanten Materials an Angstschüben, teils sogar an Verfolgungswahn, erleidet einen Schlaganfall. Und jeder Teilerfolg vor Gericht zieht prompt einen Rückschlag nach sich.

„Vergiftete Wahrheit“ ist einer jener politisch relevanten Filme über investigative Ermittlungen, die große Skandale emotional aufbereiten und damit einem größeren Publikum verständlich machen: wie „Die Verlegerin“ über die Watergate-Affäre, „Spotlight“ über den Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche oder „The Big Short“ über die Immobilienkrise in den USA, die sich zur weltweiten Finanzkrise auswuchs.

Wobei immerzu namhafte Stars auch in kleineren Rollen mitwirken, um dem Film eine größere Aufmerksamkeit zu garantieren, wie hier Anne Hathaway als Ehefrau oder Tim Robbins als zunächst zaudernder Kanzleichef.

Regisseur Todd Haynes (r.) bei den Dreharbeiten mit seinem Hauptdarsteller Mark Ruffalo.
Regisseur Todd Haynes (r.) bei den Dreharbeiten mit seinem Hauptdarsteller Mark Ruffalo. © Tobis | Mary Cybulski

Der vielfach preisgekrönte Regisseur Todd Haynes, der sonst gern knallige Musikfilme („Velvet Underground“ etwa oder den Bob-Dylan-Film „I’m Not Here“), aber auch hochemotionale Dramen über Rassismus („Dem Himmel so fern“) oder Homophobie („Carol“), ordnet sich hier ganz dem Stoff unter und inszeniert die Geschichte dokumentarisch nüchtern und ohne Schnörkel.

Ruffalo, das Sexsymbol der denkenden Frau

Auch Mark Ruffalo setzt keine Gags wie Julia Roberts in „Erin Brockovich“, sondern verschwindet geradezu in den Anzügen seiner Figur, wenn er mit hängenden Schultern und gebeugtem Gang durchs Bild läuft. Kein Strahleheld, kein Supermann wie seine Hulk-Figur in den „Avengers“-Comicfilmen. Aber gerade dafür wurde er wohl einst als „Sexsymbol der denkenden Frau“ gekürt.

Robert Bilott hat immer neue Klagen gegen DuPont eingereicht - und die mussten immer höhere Entschädigungssummen zahlen. Nach 19 Jahren wurde der Konzern schließlich verurteilt, den Opfern 671,7 Millionen US-Dollar Schadenersatz zu zahlen. Und doch lässt der Film keinen Zweifel daran, dass der Kampf noch nicht vorbei ist.

Überraschend ist, wie wenig man hierzulande von diesem Prozess gehört hat. Denn der Fall geht uns alle an: Man nimmt an, so der Abspann, dass sich PFOA im Blut von fast allen Leben der Welt befindet, auch bei 99 Prozent aller Menschen. Wer diesen Film gesehen hat, hat danach keine Lust mehr, sich ein Ei in die Pfanne zu schlagen. Und überlegt ernsthaft, ob es dazu nicht Alternativen gibt.

Drama USA 2019 124 min., von Todd Haynes, mit Mark Ruffalo, Anne Hathaway, Tim Robbins, Bill Pullman