Redelings Nachspielzeit

Dramen, Lindenberg & Triumphe Der schillerndste Star der Bundesligageschichte

Kevin Keegan verpasste der Bundesliga 1977 frischen Glanz.

Kevin Keegan verpasste der Bundesliga 1977 frischen Glanz.

(Foto: imago sportfotodienst)

Saison 1977/78: In England ist er bereits ein Superstar, als Kevin Keegan vom FC Liverpool zum Hamburger SV kommt. Nach nur einem halben Jahr möchte die "Mighty Mouse" allerdings wieder nach Hause. Doch dann beginnt der sensationelle Aufstieg des Kevin Keegan!

Die ersten Wochen und Monate in der Spielzeit 1977/78 waren hart für den neuen Star aus England beim Hamburger SV. Auf und abseits des grünen Rasens lief es für den Gewinner des Europapokals der Landesmeister von 1977 zuerst alles andere als gut. Die Mitspieler neideten ihm das viele Geld und die kostenlosen Annehmlichkeiten, die er bekam. So übernahm der HSV sechs Monate die Kosten für ein Mietshaus mit Swimmingpool und einem Tennisplatz. Und auch sportlich ging wenig zusammen. Nach einer durchwachsenen Hinrunde kam es schließlich noch ärger - als Kevin Keegan bei einem Freundschaftsspiel gegen den VfB Lübeck vom Platz flog und anschließend vom DFB für zwei Monate gesperrt wurde.

Besonders tragisch war damals Keegans Sicht der Dinge: "Mein Gegenspieler hat mich mehrmals ungestraft gefoult, und jedes Mal grinste er mich dabei frech an. Ich wusste, dieser Mann wollte mich kaputtmachen. Und da ich vom Schiedsrichter keinerlei Schutz erwarten konnte, stand ich vor der Wahl: Entweder mir von meinem Gegner das Bein brechen zu lassen oder zurückzuschlagen und einen Platzverweis zu riskieren. Ich habe ganz kühl überlegt und dann zweimal zugeschlagen. Lieber zwei Monate Sperre als drei Monate Krankenhaus!"

"Verdiene das viele Geld nicht redlich"

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Als sich auch nach der Sperre die Lage nicht schnell besserte, meinte der Mann, der in England bereits zu einem Superstar gereift war: "Ich bekomme viel Geld vom HSV, aber ich verdiente es bisher nicht redlich, weil ich gar nicht oft genug den Ball bekam, um mit meiner Leistung zeigen zu können, dass ich das Geld auch wert bin. Also habe ich zu Netzer gesagt, entweder er sorgt dafür, dass ich öfter den Ball bekomme, oder er verkauft mich!" Und Netzer ließ ihn nicht im Stich, sondern unterstützte Keegan, wo er nur konnte - und das zahlte sich aus.

Gegenspieler Ennatz Dietz vom MSV Duisburg schwärmte schon bald: "Keegan lässt sich nicht unterkriegen. Dem haut einer auf die Gräten, schon steht er wieder auf und lächelt dich an. Für einen Profi hat er noch eine unglaubliche Spielfreude. Diese Begeisterung ist mehr wert als alles andere. Dem fällt nach einem Sieg erst in der Kabine wieder ein, dass er jetzt auch noch Geld dafür kriegt. Der sagt dann: ›Ah, ja. Geld gibt's ja auch noch!‹" Und Schiri Ahlenfelder meinte nach einem Spiel anerkennend: "Der wurde gefoult, stand auf, wurde wieder getreten, aber lief immer weiter. Kein Ton, gar nichts!"

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Bei seinem Abschied aus Liverpool hatte Keegan auf eigene Kosten 100.000-mal ein Foto drucken lassen, das ihn und seine Frau in inniger Umarmung nach dem Gewinn des Europapokals zeigte. Das Bild wurde kostenlos an seine Anhänger verteilt. Keegan schien seine Fans tatsächlich zu achten: "Kein Kind geht von mir weg, ohne dass es sein Autogramm bekommen hat. Als Kind wartete ich einmal im Regen als Einziger nach einem Spiel auf mein Idol. Keiner war da außer mir. Nach einer halben Stunde kam er und schubste mich zur Seite. Ich habe das nie vergessen. Wir sind doch auch als Erwachsene manchmal noch wie Kinder, nicht?"

"So ist Deutschland"

Doch beim HSV veränderte sich Keegan eines Tages von einem gutmütigen, netten Burschen zu einem echten Geldhai, wie sich Spielerberater Holger Klemme später erinnerte: "Er hat eine prägende Erfahrung gemacht: Ein in Süddeutschland ansässiger Spielervermittler bekniete Netzer, er möge ihm Keegan für eine Autogrammstunde zu 7.500 Mark besorgen. Keegan fuhr hin. Der Spielervermittler präsentierte ihn in einem Kaufhaus, dann in einer weiteren Filiale, dann noch einer, dann bei einem vierten Termin und spät am Abend noch bei einem Tanzwettbewerb in einer Disko.

Nun kam Keegan erfreut nach Hamburg zurück und verkündete freudig, er habe fünfmal 7.500 Mark an dem Tag verdient. Er irrte sich, denn der Vermittler überwies schließlich nur einmal die 7.500 Mark, hatte aber wohl selbst fünfmal kassiert. Von da ab änderte sich Keegan zu einem richtigen Geldhai. Er sagte immer nur: ›So ist Deutschland! Wenn ich eines Tages wieder nach England zurückkehre, dann die Taschen so voll mit Geld, bis sie durchbrechen.‹"

Legendär waren auch Keegans Karriereschritte auf einem anderen Feld. Seine Schallplatte "Head over Heels in Love" verkaufte sich europaweit schnell über 400.000 Mal. Für einen HSV-Sponsor schlüpfte der Engländer in die Rolle des "Super-Kevin" - ein Comic-Held, der für sparsamen Energieverbrauch kämpfte. Gage hierfür: "Weniger, als der Kino-Superman Christopher Reeve bekommen hat!" Meinte der Sponsor. Und vergaß zu erwähnen, dass der Filmheld über eine halbe Million Mark kassiert hatte.

"Der Udo Lindenberg ist sehr beschäftigt"

Die Popularität eines der schillerndsten Stars, die die Bundesliga je gesehen hat, ging so weit, dass der Ex-Manager des HSV, Dr. Krohn, eine Fußball-Rock-Oper plante, die vom "Aufstieg eines Liverpooler Fußballjungen" handeln sollte. Geschäftstüchtig meinte Krohn: "Deshalb wäre es gut, wenn wir mit unserem Stück fertig wären, solange Kevin in Deutschland spielt." Wir? Das war der Clou an der Sache - denn niemand Geringeres als Udo Lindenberg sollte die Noten liefern. Krohn: "Den Text habe ich auch schon so gut wie fertig. Die Schwierigkeit ist nur, dass der Udo Lindenberg sehr beschäftigt ist und noch nicht dazu gekommen ist, die Musik zu schreiben." Am Ende klappte das Unterfangen dann doch nicht wie geplant.

Meister wurde der HSV, der mit seiner überragenden "Mighty Mouse", wie man Keegan nannte, in den Folgejahren zu einem echten Spitzenklub aufsteigen sollte, in dieser Saison noch nicht. Die Schale holte sich nach einem furiosen Finale der 1. FC Köln, der in dieser Spielzeit eine echte Geheimwaffe hatte die Ecken! Mit viel Effet schossen Flohe (von rechts) und Neumann (von links) den Ball vor das Tor. Dort gab ihm ein Mitspieler eine andere Richtung - was zur Verwirrung des Gegners führt. Und diesen Moment der Irritation nutzten die Stürmer, vornehmlich Dieter Müller, zum Abschluss. Der Mann hinter dieser ausgeklügelten Eckballvariante: Trainer Hennes Weisweiler.

Beinahe hätte es das spektakuläre Finale am letzten Spieltag (12:0 für Gladbach gegen den BVB und das 5:0 der Kölner in Hamburg gegen St. Pauli) aber gar nicht gegeben. Denn am 33. Spieltag lag Borussia Mönchengladbach bis zur 69. Minute mit 1:2 in bei Keegans HSV zurück. Doch dann zündete der amtierende Deutsche Meister bis zur 83. Minute den Turbo und siegte nach überragenden 14 Minuten am Ende mit 6:2 im Volksparkstadion. Als am Ende der Saison abgerechnet wurde, fehlten Gladbach aber am Ende dennoch drei Tore, die man zu viel kassiert hatte.

Quelle: ntv.de

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