Wirtschaft

Interview zur Erbschaftssteuer "Wir sind im Akkord mit Vermögensübertragungen beschäftigt"

Wegen einer Gesetzesänderung könnten auf Erbinnen und Erben größerer Vermögenswerte ab dem 1. Januar 2023 hohe Kosten für die Erbschaftssteuer zukommen.

Wegen einer Gesetzesänderung könnten auf Erbinnen und Erben größerer Vermögenswerte ab dem 1. Januar 2023 hohe Kosten für die Erbschaftssteuer zukommen.

(Foto: picture alliance / imageBROKER)

Der Andrang bei Notaren ist hoch: Ab dem kommenden Jahr kann Erben und Schenken nämlich teurer werden. Im Interview erklärt Notar Marc Ströbele, für wen eine Immobilienübertragung noch in diesem Jahr sinnvoll ist, und wie er sicherstellt, dass nichts überstürzt im Hauruckverfahren passiert.

Ab 2023 fürchten viele höhere Erbschafts- und Schenkungssteuern. Rennen Ihnen die Menschen gerade das Notarbüro ein, um noch schnell ihre Immobilie zu übertragen?

Marc Ströbele: Ja, die Nachfrage ist riesig. Ich habe doppelt so viele Fälle wie normalerweise. Allein heute Morgen habe ich drei neue Schenkungsanfragen angenommen. Bis zum Jahresende werden mein Team und ich nahezu im Akkord mit Vermögensübertragungen beschäftigt sein. Viele Eltern wollen ihre Immobilie an ihre Kinder übertragen, aber auch Großeltern an die Enkelkinder.

Das klingt nach Stress…

In der Regel laufen Schenkungen tatsächlich ruhiger ab und sind gut vorbereitet. Da ist der Steuerberater involviert und nimmt die Immobilienbewertung vor. Diese Fälle sind weniger mit heißer Nadel gestrickt als die jetzigen. Bei den aktuellen Fällen ist schon mal die Frage, was die Immobilie eigentlich wert ist. Wir können die Immobilienwerte momentan kaum ermitteln. Sachverständigengutachten oder Stellungnahmen vom Gutachterausschuss sind kaum zu bekommen, weil die Zeit fehlt. Es werden Werte geschätzt und unterstellt, was mit einem gewissen Risiko verbunden ist.

Wie sehr können Sie aufs Tempo drücken, damit trotzdem alles korrekt abläuft?

Ich sorge dafür, dass nicht unüberlegt verschenkt wird. Übertragungsverträge fertige ich in der Regel immer auf Grundlage eines vorangegangenen Gespräches an, bei dem die Beteiligten mit mir am Tisch sitzen. Es muss ihnen klar sein, dass die Immobilie mit der Schenkung aus ihrem Eigentum herausgelöst wird, selbst wenn sie sich eine wirtschaftliche Nutzung, also den Nießbrauch, vorbehalten. Auch die mit einer Schenkung verbundenen Risiken müssen klar sein: Wenn sich Eltern das Nießbrauchrecht an der Immobilie sichern, sollten sie sich mit den Kindern gut verstehen. Wir sprechen natürlich auch über Rückfallklauseln, mit denen Eltern unter bestimmten Voraussetzungen die Immobilie zurückverlangen können.

Wie stellen Sie sicher, dass eine Übertragung nicht überstürzt im Hauruckverfahren passiert?

Wenn Menschen zu mir kommen und sagen "Bitte, das muss alles schnell passieren!", sage ich, dass ohne ein Gespräch nichts geht. Dafür reicht notfalls eine halbe Stunde, aber erst danach erstelle ich den Vertragsentwurf. Und dieser soll dann bitte für ein paar Tage bei den Mandanten liegen, damit sie ihn in Ruhe prüfen können. Zum Schluss kommt die Beurkundung. Bei Fällen, in denen ich jetzt die Erstgespräche führe, beurkunde ich die Schenkungsverträge in aller Regel zwischen den Jahren. Es liegen also mindestens zwei Wochen dazwischen. Eine Überlegungsfrist wie etwa in Verbraucher- oder Kaufverträgen gibt es bei der Schenkung allerdings nicht.

Das heißt, eine Schenkung bis zum Jahresende ist noch zu schaffen?

Ja. Wir geben Gas. Was immer enger wird, sind Kettenschenkungen, zum Beispiel innerhalb der Familie. Wenn Ehegatten eine Immobilie untereinander übertragen, dann können sie nicht in der gleichen Urkunde weiter an Kinder übertragen. Das wäre steuerlich ein Missbrauch. Das heißt, die Ehegatten müssen zeitlich die Möglichkeit haben, noch mal zu überdenken, ob sie weiter übertragen möchten. In solchen Fällen müsste der erste Übertragungsschritt noch vor Weihnachten passieren. Der zweite Schritt sollte dann zwischen den Jahren stattfinden. Die Änderung bei der Erbschaftssteuer ist vor allem für Gebäude relevant, die im Ertrag- und Sachwertverfahren bewertet werden.

Was ist Ihr Eindruck - wird es deutlich teurer?

Wir gehen davon aus, dass Immobilienwerte um 20 bis 30 Prozent steigen. Aber dass es zwangsläufig wirklich teurer für Erben und Beschenkte wird, würde ich nicht unbedingt sagen. Man muss bei Schenkungen künftig eben genauer rechnen, damit Freibeträge nicht überschritten werden. Schenkende können im Rahmen der Vermögensnachfolge also nicht mehr so ohne Weiteres und ungeplant Immobilien an die nächste Generation übertragen. Sonst könnten tatsächlich höhere Steuern anfallen.

Für wen macht es Sinn, jetzt noch eine Immobilie zu übertragen?

Ich würde sagen, dass jetzt Immobilien übertragen werden sollten, bei denen ich die Werte schon relativ gut und ohne weitere Gutachten einschätzen kann. Kompliziert wird es, wenn es um besondere Immobilien geht, die schwierig zu bewerten sind. Das können zum Beispiel Gewerbeimmobilien sein. Da wäre ich vorsichtig, weil man in diesen Fällen oft den Wert nicht genau abschätzen kann. Geht man von einem zu niedrigen Wert aus, fällt möglicherweise doch eine Schenkungssteuer an, mit der man so nicht gerechnet hat. Der Entschluss, das Vermögen zu übertragen, sollte vorher schon bestanden haben. Es macht keinen Sinn, jetzt eine Immobilie zu verschenken, einfach nur um Steuern zu sparen. Das wird bereut.

Wie lassen sich Immobilien möglichst steuersparend übertragen?

Häufige Konstrukte sind sogenannte Familien-Poolgesellschaften. Dabei werden Immobilien zum Beispiel in eine Kommanditgesellschaft oder eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts eingebracht. Diejenigen, die später daran beteiligt sein sollen, bekommen Gesellschaftsanteile und haben damit auch Anteile an der Immobilie. Eine klassische Übertragungsmöglichkeit unter Ehegatten ist die Güterstandsschaukel. Auch so lassen sich Immobilien steuerfrei übertragen. Eine andere Option ist die Ehewohnungsschaukel: Hierbei überträgt zum Beispiel der Ehemann die selbst genutzte Wohnung steuerfrei an die Ehefrau. Wenn er die Ehewohnung später zurückkauft, geht der Kaufpreis an sie. Der Sinn davon ist, dass ich am Ende einen eigentlich nicht steuerbefreiten Geldbetrag von zum Beispiel einer Millionen Euro steuerfrei an den anderen Ehegatten übertrage. Zu oft kann man das aber nicht machen, die Finanzbehörden schauen hier genau hin.

Was raten Sie denjenigen, die vor Jahresende eine Schenkung erwägen?

Wichtig ist, zu wissen, von welchen Werten man beispielsweise bei Immobilien ausgehen kann. Wer da keine Vorstellung oder nur eine ungefähre hat, für den wird es kompliziert. Diejenigen, die das grundsätzlich vorhatten und ein Gespür haben für den belastbaren Immobilienwert, denen kann man sicherlich sagen: Jetzt ist ein guter Zeitpunkt. Ab dem nächsten Jahr ist eine Übertragung nicht ausgeschlossen. Nur dann muss man es genauer überprüfen und genauer nachdenken. Aber auch das geht.

Mit Marc Ströbele sprach Laura Eßlinger

Das Interview ist zuerst auf Capital.de erschienen

(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 18. Dezember 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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