Wirtschaft

Keine Zauberstäbe zu Weihnachten Verhexte Lieferketten treffen "Harry Potter"

Das Lieferketten-Chaos macht vor nichts Halt. In Großbritannien hat es sich jetzt ausgezaubert.

Das Lieferketten-Chaos macht vor nichts Halt. In Großbritannien hat es sich jetzt ausgezaubert.

(Foto: picture alliance / United Archives)

Es knirscht gewaltig im Versorgungsgetriebe der Welt. Besonders schlimm trifft das Lieferketten-Chaos Großbritannien. Spielzeughändler warnen: Beim anstehenden Weihnachtseinkauf werden die Kunden beliebte Artikel nicht mehr in den Geschäften finden.

Der Lieferketten-Albtraum nimmt kein Ende. Und zum Jahresende hin wird es noch mal gruseliger. Nachschubprobleme und steigende Kosten bei Produkten, die knapper geworden sind, drohen das Weihnachtsgeschäft zu torpedieren. Das ist schlecht für die Unternehmen und schlecht für die Verbraucher. Die Frage, die vielen bereits unter den Nägeln brennt: Ist die Weihnachtsbescherung in Gefahr?

Ausgerechnet in Großbritannien, dem Land, das offiziell behauptet, es gebe keine Probleme, häufen sich Berichte von Einzelhändlern, die derzeit ganz andere Erfahrungen machen. Für sie steht schon jetzt fest: Beim diesjährigen Weihnachtseinkauf werden die Verbraucher voraussichtlich nicht aus dem Vollem schöpfen können. Manche Gaben wird es unterm Tannenbaum schlicht nicht geben.

Ein britischer Händler, der ein Geschäft für Fanartikel betreibt, berichtet von einem Engpass, der symptomatisch zu sein scheint, und erahnen lässt, welches Chaos der Insel zum Jahresende bevorstehen könnte: Im ganzen Land herrscht offenbar ein Mangel an den auch nach 20 Jahren noch beliebten Artikeln aus der "Harry Potter"-Serie. "Erst schlug der Brexit zu, dann die Pandemie, dann brachte beides zusammen die Hersteller dazu, ihre Arbeit einzustellen. Und danach konnten sie keine Container mehr verschiffen", zitiert der britische Sender BBC Elvijs Plugis, Mitinhaber des Geschäfts "House of Spells" in London.

Wer überhaupt noch einen Zauberstab ergattern kann, muss derzeit tief in die Tasche greifen. "Früher kostete ein 'Harry Potter'-Zauberstab 20 Pfund, jetzt wird er 35 bis 40 Pfund kosten", berichtet er. "Alle Läden sind ausverkauft." Schwer zu beschaffen seien nicht nur Zauberstäbe aus der beliebten Jugendserie, sondern auch andere Filmrepliken, sagt Plugis, der derzeit damit beschäftigt ist, so viel lizensierte Ware zu horten, wie er nur irgendwie beschaffen kann.

"Harry Potter"-Geschenke zaubern eingefleischten Fans auch noch nach 20 Jahren ein Lächeln ins Gesicht. Bis zu 40 Pfund, umgerechnet 47 Euro, werden für einen Zauberstab in London künftig fällig - wenn man es denn schafft, einen zu ergattern.

"Harry Potter"-Geschenke zaubern eingefleischten Fans auch noch nach 20 Jahren ein Lächeln ins Gesicht. Bis zu 40 Pfund, umgerechnet 47 Euro, werden für einen Zauberstab in London künftig fällig - wenn man es denn schafft, einen zu ergattern.

(Foto: picture-alliance)

Das "House of Spells" habe zwar noch nicht die Preise erhöht, aber angesichts von bis zu 30 Prozent höheren Frachtpreisen sowie einem ebenso hohen Aufschlag an Zollgebühren müsse man beim Preis in absehbarer Zeit draufsatteln, sagt Plugis.

Andere Fanartikel-Verkäufer berichten ebenfalls über leere Lager. Ausverkauft ist laut BBC auch der Bestand an "Harry Potter"-Artikeln bei der London Toy Company. Der Spielzeughersteller, zu dessen Kunden große Firmen wie Amazon und Harrods zählen, berichtet von einem Anstieg der Containerpreise für das Unternehmen um 900 Prozent.

Im Januar schon für Weihnachten shoppen?

Um den Nachschub zu sichern, habe man bereits andere Routen gewählt. Außerdem halte die Firma 35.000 Spielzeuge im Wert von einer Viertelmillion Pfund in Häfen vor. Kunden müssten derzeit dennoch bis zu drei Wochen länger auf ihre Waren warten, sagt Direktor Joel Berkowitz.

Alan Simpson, Geschäftsführer von Toytown, einer Kette unabhängiger Einzelhändler mit Sitz in Belfast, glaubt an eine längere Durststrecke und fordert die Kunden deshalb auf, nächstes Jahr bereits im Januar mit den Weihnachtseinkäufen zu beginnen. "Erwarten Sie nicht, im Dezember zu kommen und zu finden, was Sie normalerweise in einem Spielzeugladen finden würden", sagt er der BBC. Er sei seit 42 Jahren im Geschäft, könne sich aber nicht erinnern, jemals solche Probleme gehabt zu müssen. Auch Simpson wird die Preise anziehen. Seinen Worten nach handelt es sich um ein Problem, das viele Einzelhändler derzeit haben.

Barbie-Puppen stehen ebenfalls ganz oben auf den Wunschlisten der Kinder zu Weihnachten. Auch die sind Mangelware, wie einer der größten Spielwarenhändler Großbritanniens, The Entertainer, berichtet. Auch hier stapeln sich die Waren in den britischen Häfen und warten auf den Weitertransport. Stau wird vor allem aus Felixstowe in Suffolk berichtet, dem größten Containerhafen Großbritanniens.

Die britische Insel leidet unter dem Mangel von Tausenden Lkw-Fahrern. Lagerbestände zur richtigen Zeit an die richtigen Stellen zu bringen, sei schwierig, sagt Unternehmenschef Gary Grant. Zwar sei das Angebot an Waren durchaus groß, aber die Nachfrage werde es weit übertreffen. Für Grant hat der Handel kein Mangelproblem, sondern ein Transport- und Lagerproblem. Es gibt zu wenige Frachtcontainer. Und die Waren aus Asien, die ankommen, werden in den Häfen abgeladen, aber nicht weitertransportiert - und das ausgerechnet in der geschäftigsten Zeit des Jahres.

Die Lichter der Weltwirtschaft flackern

Es knirscht im Versorgungsgetriebe der Welt. Spätestens mit der Corona-Krise ist offensichtlich, wie fragil die globalen Just-in-time-Lieferketten sind. Überall, wo Industrie und Einzelhändler am asiatischen Tropf hängen und auf Waren aus Übersee warten, wird über Mangelverwaltung geklagt. Den Autobauern fehlen Computerchips - der erste deutsche Autozulieferer ist bankrott, weil die Autoproduktion stockt -, unfertige Autos parken auf Messegelände zwischen, so wie die Flugzeuge zur Hochzeit der Pandemie.

Die Lichter der Weltwirtschaft flackern, beschreibt es die "Financial Times". Weltweit dümpeln schwer beladene Containerschiffe mit dringend erwarteter Fracht nutzlos vor den Häfen, können weder andocken noch gelöscht werden, weil es an Personal fehlt. Und sind die Waren endlich entladen, ist die Reise schon wieder zu Ende - weil Lkw-Fahrer fehlen.

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In Großbritannien ist die Lage besonders akut, was vor allem mit dem Brexit zusammenhängt. Der Industrie fehlen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die früher aus der EU gekommen sind. Zwischen Sommer 2020 und Frühjahr 2021 haben 14.000 EU-Bürger ihre Tätigkeit als Lkw-Fahrer eingestellt. Seit Monaten warnen Unternehmen, dass der übliche weihnachtliche Nachfrageschub für Puten über Spielzeug bis hin zu Süßigkeiten nicht befriedigt werden kann. Der Lebensmittelverband warnt vor einem "neuen Normal" für Großbritannien. Doch die Regierung in London winkt immer noch ab, auch Sorgen über Versorgungsengpässe zu Weihnachten hält sie für unbegründet.

Lieferketten, die jahrzehntelang gewachsen sind, können nicht über Nacht neu geschmiedet werden - und das hängt nicht nur damit zusammen, dass Zauberstäbe vergriffen sind. Die Analysten von Moody's gehen davon aus, dass die Unterbrechungen in den Lieferketten erst einmal "schlimmer werden, bevor sie besser werden". Die Pandemie, Grenzkontrollen und Mobilitätseinschränkungen hätten einen "perfekten Sturm" ausgelöst. Kosten und Preise werden nach Ansicht der Experten steigen und das weltweite BIP-Wachstum ausbremsen. Um den reibungslosen Betrieb des weltweiten Logistik- und Transportnetzwerks zu gewährleisten, fordert Moody's eine "konzertierte globale Anstrengung".

Quelle: ntv.de

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