Die Wahlbehörde in Nicaragua meldet einen Erdrutschsieg von Ortega – die Opposition spricht von Enthaltung von über 80 Prozent

Die Wiederwahl des ehemaligen Revolutionshelden Daniel Ortega ist nun sicher. Er trat am Sonntag gegen fünf unbekannte Kandidaten an, nachdem sämtliche ernst zu nehmenden Oppositionskandidaten in den vergangenen Monaten verhaftet worden waren.

Thomas Milz, Rio de Janeiro
Drucken
Nicaraguaner im Exil protestieren in San José de Costa Rica gegen die Wahlfarce in ihrem Heimatland.

Nicaraguaner im Exil protestieren in San José de Costa Rica gegen die Wahlfarce in ihrem Heimatland.

Jeffrey Arguedas / EPA

Mit mehr als zweistündiger Verspätung hat der nicaraguanische Wahlrat am frühen Morgen Lokalzeit erste Ergebnisse der Präsidentenwahl bekanntgegeben. Demnach wurden – nach Auszählung von rund der Hälfte der Stimmzettel – 74,99 Prozent der Stimmen für das Ehepaar Ortega als Präsident und Vizepräsidentin abgegeben. Laut offiziellen Angaben gingen 65,34 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne. Die Opposition, welche eine unabhängige Wahlbeobachtung aufgezogen hatte, sprach allerdings von einer Wahlabstinenz von 81,5 Prozent.

Der Sieg von Präsident Daniel Ortega und seiner sandinistischen Partei FSLN galt von vorneherein als sicher. Er hatte alle ernstzunehmenden Oppositionskandidaten entweder ins Gefängnis gesteckt oder ins Exil gedrängt. Bereits seit Stunden feiern die Anhänger der FSLN in den Städten des Landes. Unabhängige Wahlbeobachter aus dem Ausland waren nicht zu der Wahl zugelassen.

Durch seinen Sieg kann er seine fünfte Amtszeit antreten. Er regierte Nicaragua bereits von 1985 bis 1990. Im Jahr 2007 kehrte er ins Amt zurück und liess sich 2011 und 2016 bestätigen. Seit der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten im Jahr 2018 regieren Ortega und seine Ehefrau und Vizepräsidentin Rosario Murillo mit harter Hand.

Im Vorfeld der Wahlen hatten sie 39 Regimekritiker verhaften lassen und damit die gesamte Opposition aus dem Rennen genommen. Unter ihnen waren auch sieben Oppositionspolitiker, die gegen Ortega antreten wollten: Cristiana Chamorro, Arturo Cruz, Félix Maradiaga, Juan Sebastián Chamorro, Miguel Mora, Medardo Mairena und Noel Vidaurre. Laut dem Umfrageinstitut Gallup hätte jeder der Oppositionskandidaten gegen Ortega gewonnen. Am Sonntag traten jedoch fünf unbekannte Kandidaten kleiner Parteien an, die mit der FSLN kooperieren.

Wie bereits 2016 hatte die Opposition zum Boykott der Wahlen aufgerufen. Die unabhängige Wahlbeobachterorganisation Urnas Abiertas gab die Zahl der Nichtwähler am frühen Montagmorgen mit 81,5 Prozent an. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte, ein Organ der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), sprach von willkürlichen Verhaftungen sowie Belästigung und Behinderung der Presse am Wahltag. Andere Menschenrechtsorganisationen berichteten von mindestens zwanzig Verhaftungen am Samstag.

Joe Biden spricht von Scheinwahl

Der amerikanische Präsident Joe Biden hatte am Sonntag scharfe Kritik an den Wahlen geäussert. «Was der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega und seine Frau, Vizepräsidentin Rosario Murillo, heute inszeniert haben, war eine Scheinwahl, die weder frei noch fair und schon gar nicht demokratisch war», so die vom Weissen Haus veröffentlichte Erklärung. «Wir fordern das Ortega-Murillo-Regime auf, unverzüglich Massnahmen zur Wiederherstellung der Demokratie in Nicaragua zu ergreifen und die Personen, die zu Unrecht inhaftiert wurden, unverzüglich und bedingungslos freizulassen.»

Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell warf Ortega am Montag vor, «das Land in eine Republik der Angst verwandelt» zu haben. «Die Wahlen vom 7. November vollenden die Umwandlung Nicaraguas in ein autokratisches Regime.» Die EU fordert ebenfalls die Freilassung der politischen Gefangenen. Es wird erwartet, dass die EU gemeinsam mit den Vereinigten Staaten nun neue Sanktionen gegen das Regime in Managua erlässt.

José Miguel Vivanco, Regionalchef der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), bezeichnete die Wahlen auf Twitter als Farce: «Lateinamerika war nicht in der Lage, Daniel Ortegas Missbrauchsplan für Nicaragua zu stoppen.» Nicaraguas Nachbar Costa Rica erklärte noch vor der Bekanntgabe des Ergebnisses, die Wahlen nicht anzuerkennen.

Ortegas Troll-Farm wurde abgeschaltet

Ortegas Wahlkampagne hatte in der vergangenen Woche einen herben Rückschlag erlitten. Facebook warf der Sandinistischen Partei vor, seit den Protesten im April 2018 eine regelrechte Troll-Farm betrieben zu haben. Man habe im Laufe des Oktobers 937 Facebook-Accounts, 140 Websites, 24 Gruppen sowie 363 Instagram-Accounts abgeschaltet. Die Troll-Farm verbreitete positive Nachrichten über Ortegas Regierung sowie Kritik an der Opposition.

Zudem sei versucht worden, durch gezielte Beschwerden über angebliche Verstösse die Seiten von Oppositionspolitikern sperren zu lassen. Die Aktion soll aus dem Gebäude der Post- und Telekom-Regulierungsbehörde Telcor in der Hauptstadt Managua heraus betrieben worden sein, wie Facebooks Dachgesellschaft Meta erklärte. Aber auch von anderen Regierungsbehörden und sogar vom Supreme Court aus seien Fake News ins weltweite Netz eingespeist worden.

Es sei weltweit das erste Mal gewesen, dass man solche Fake-News-Maschinen in einem offiziellen Regierungsgebäude lokalisiert habe, erklärte Meta. Nahezu 800 000 Nutzer sollen den Fake-Accounts gefolgt sein. Auch über Tiktok, Twitter, Telegram, Youtube und Blogspot seien Fake News verbreitet worden. Dabei sei eine regelrecht behördliche Arbeitszeit eingehalten worden: wochentags zwischen 9 Uhr morgens und 5 Uhr nachmittags, mit einer Stunde Mittagspause.