Die SP-Parteileitung will zwei Frauen für die Nachfolge von Bundesrätin Sommaruga nominieren. Der ambitionierte Daniel Jositsch bringt sich trotzdem in Stellung

Der Zürcher Ständerat hat sich parteiintern gegen ein reines Frauen-Ticket gewehrt.

Stefan Hotz, Jan Hudec
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Auffällig: Daniel Jositsch lobt zwei SP-Frauen aus der Westschweiz ausdrücklich als fähige Kandidatinnen.

Auffällig: Daniel Jositsch lobt zwei SP-Frauen aus der Westschweiz ausdrücklich als fähige Kandidatinnen.

Anthony Anex / Keystone

Das höchste politische Gremium der Schweiz ganz ohne Zürcher Vertretung, geht das? Mit Blick auf den Bundesrat sah es für den Kanton Zürich bis am Mittwoch tatsächlich düster aus. Das einzige Zürcher Regierungsmitglied, der zurücktretende Ueli Maurer, dürfte wohl durch einen Berner ersetzt werden: Albert Rösti ist der klare Kronfavorit der SVP.

Doch mit dem am Mittwoch angekündigten Rücktritt der Berner SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat sich nun wieder eine Türe für den Wirtschaftskanton aufgetan.

Und Zürich hätte auch einen SP-Kandidaten, der will, kann und wählbar wäre: Daniel Jositsch. Doch der Zürcher Ständerat und Rechtsprofessor hat ein Problem. Er ist ein Mann.

SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer hatte gleich nach Sommarugas Rücktritt angekündigt, dass aus Sicht der Parteileitung nur Kandidatinnen infrage kämen. Auf dem SP-Ticket sollen also zwei Frauen stehen. Ob es wirklich so kommt, das entscheidet aber die Fraktion. Könnte es für Jositsch mit der Kandidatur doch noch klappen? Oder schielt er eher auf den Sitz von Alain Berset?

Jositsch gegen reines Frauen-Ticket

Jositsch hat seine Bundesratsambitionen jedenfalls trotz dem Entscheid der SP-Leitung noch nicht aufgegeben. Der vielseitige, medienerprobte Politiker, der eine steile Karriere gemacht hat, will mehr: Gegenüber Radio SRF stellte er fest, falls seine Fraktion auch eine Männer-Kandidatur zulasse, werde er sich eine Bewerbung überlegen.

Auf Rückfrage präzisierte Jositsch, rein rechtlich stelle das Bundesrats-Ticket einen Vorschlag der jeweiligen Partei dar. Die Bundesversammlung sei aber frei, wen sie in den Bundesrat wähle. Das habe er immer vertreten. Im Übrigen sei es schon vor dem Entscheid der Fraktion möglich, sich um eine Kandidatur zu bewerben. Ob er dies anstrebt, liess Jositsch offen.

Kam nach seiner Ansicht der Entscheid des SP-Präsidiums, ausschliesslich Frauen aufzustellen, zu früh? «Ich war an der Sitzung von Partei- und Fraktionsleitung vom Mittwochmorgen dabei und habe einen anderen Antrag gestellt», antwortet Jositsch.

Vor Bundesratswahlen sprächen jeweils alle über das Geschlecht und aus welchem Kanton jemand komme. Er habe aber schon nach der Rücktrittsankündigung von Finanzminister Ueli Maurer gesagt, es sei ihm egal, ob Zürich weiter im Bundesrat vertreten sei, sagt Jositsch. «Viel wichtiger ist doch, ob jemand die nötigen Fähigkeiten mitbringt und in das Gremium passt.»

Dass Jositsch die Voraussetzung mitbringt, obwohl er bis anhin nur als Schulpräsident von Meilen einer kommunalen Exekutive angehörte, bezweifelt kaum jemand. Und mit seinem Engagement für den sozial-liberalen Flügel der SP wäre er für das Parlament auch gut wählbar.

EJPD ein Fall für Jositsch?

Reizt ihn die Aussicht, dass Bundesrätin Karin Keller-Sutter in ein anderes Departement wechseln könnte? Dann wäre nämlich das sonst nicht sehr begehrte Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) plötzlich frei. Und dieses wäre auf den Strafrechtsprofessor zugeschnitten. Jositsch lacht: Das sei nun wirklich zu weit gedacht, und die Verteilung der Departemente sei ohnehin offen.

Eine andere Überlegung geht dahin, dass Jositsch auf einen absehbaren Rückzug von Alain Berset aus dem Bundesrat setzt. Auffällig war jedenfalls, wie er am Mittwochabend auf Tele Züri zwei SP-Frauen aus der Westschweiz als äusserst fähige Kandidatinnen herausstrich: seine jurassische Ständeratskollegin Elisabeth Baume-Schneider und die Waadtländer Regierungsrätin Rebecca Ruiz, mit der er in einer Nationalratskommission gut zusammengearbeitet habe.

Im Falle einer Wahl kämen dann zwar vorübergehend und entgegen der Usanz drei Mitglieder des Bundesrats und beide SP-Vertretungen aus der Romandie. Aber ein Rücktritt von Berset auf Ende der Legislatur oder in wenigen Jahren würde den Weg für einen SP-Mann aus der Deutschschweiz, sprich Jositsch, freimachen.

Sein prominenter Einsatz gegen die Frontex-Vorlage im letzten Mai, verbunden mit dezidierter Kritik an der zuständigen Justizministerin, nährte zuletzt Spekulationen, der Zürcher Ständerat bereite den Boden für die Unterstützung einer Bundesratsbewerbung durch den linken Flügel seiner Partei.

«Ich weiss nicht, was ich gemacht habe, dass alles, was ich tue, mit Blick auf eine Kandidatur für die Landesregierung beurteilt wird», entgegnet Daniel Jositsch. Das sei beim Thema Frontex so gewesen, aber ebenso, als er vor Jahren die sozialliberale Reformplattform der SP mitbegründet habe. Die Vereinigung des rechten SP-Flügels existiere weiter, aber nicht mehr mit ihm als Präsidenten, sondern unter Leitung des Bieler Stadtpräsidenten Erich Fehr.

Im ersten Wahlgang erfolgreich

Die Frontex-Vorlage zeigt, wie verschieden sich trotz ähnlicher Herkunft politische Biografien entwickeln können. Jositsch hatte einst viele Gemeinsamkeiten mit dem Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr; beide verfolgten auf ihrem Weg in höchste Ämter eine gemässigte sozialliberale Linie. Im Abstimmungskampf vor einem halben Jahr vertraten sie diametrale Positionen. Fehr und die SP entfremdeten sich zusehend, vor zwei Jahren trat er aus der Partei aus und kandidiert nun als Parteiloser für den Regierungsrat.

Daniel Jositsch erlebte neben seiner akademischen Karriere einen rasanten politischen Aufstieg. Als SP-Präsident des Bezirks Meilen und Schulpräsident in Stäfa wurde er 2007 in den Kantonsrat gewählt. Noch im gleichen Jahr erfolgte die Wahl in den Nationalrat. Seit 2001 ist er ausserdem Präsident des Kaufmännischen Verbandes Schweiz.

Beruflich war er in den 1990er Jahren Geschäftsführer der Schweizerisch-Kolumbianischen Handelskammer und als selbständiger Anwalt im südamerikanischen Land tätig. 2017 vernahm die Öffentlichkeit verwundert, dass Jositsch auch die Staatsbürgerschaft von Kolumbien erworben hatte. Das aber ist, im Gegensatz zur SVP, in der SP kein Hindernis für eine Bundesratskandidatur.

2015 kandidierte Jositsch erstmals für den Ständerat. Überraschend war er auf Anhieb im ersten Wahlgang erfolgreich. Zuvor hatte die Zürcher SP 30 Jahre lang vergeblich versucht, einen Sitz in der kleinen Kammer zu erobern. In einem Interview mit der NZZ räumte der ehemalige EU-Turbo damals ein, dass der bilaterale Weg für ihn überraschend erfolgreich sei, bekannte sich zur Energiewende und betonte Gemeinsamkeiten mit dem freisinnigen Mitbewerber Ruedi Noser. Das Duo harmonierte in der Folge lange gut.

Prominente Absagen von Zürcher SP-Frauen

Die gute Ausgangslage nützt Daniel Jositsch allerdings wenig, wenn sich nach dem Präsidium auch die SP-Fraktion dafür entscheidet, nur Frauen zu nominieren. In diesem Fall hätte die Zürcher SP einige Kandidatinnen, die sich gute Chancen auf einen Sitz in der Landesregierung ausrechnen dürfen. Allen voran wohl Regierungsrätin Jacqueline Fehr, die 2010 von der SP für den Bundesrat nominiert worden war, damals aber gegen Sommaruga den Kürzeren zog.

Zwölf Jahre später hat Fehr neben ihrer Erfahrung als Nationalrätin nun auch noch Exekutiverfahrung vorzuweisen. Doch Fehr hat sich am Donnerstag gleich selbst aus dem Rennen genommen.

Auf Twitter gab sie bekannt, dass sie nicht für den Bundesrat kandidieren wolle. Ihr Ziel sei die Wiederwahl am 12. Februar in die Zürcher Kantonsregierung, schrieb sie. «Die starke Rolle des Kantons Zürich und seine Pionierfunktion in vielen Bereichen machen den Zürcher Regierungsrat zum bestmöglichen Ort, um politisch zu gestalten. Dies zu tun, ist und bleibt meine grosse Leidenschaft.»

Eine Kandidatur Fehrs wäre auch für die Zürcher SP zur Unzeit gekommen. Durch den Parteiaustritt von Sicherheitsdirektor Mario Fehr haben die Sozialdemokraten bereits einen Sitz in der Kantonsregierung verloren. Das Ziel der Partei ist es nun, dass Jacqueline Fehr den Sitz hält und Kandidatin Priska Seiler Graf einen zweiten erobert. Eine allfällige Wahl in den Bundesrat würde dies gefährden, weil kurzfristig eine neue Kandidatur aufgebaut werden müsste.

Dies sprach denn auch gegen eine Bundesratskandidatur von Nationalrätin Seiler Graf. Am Mittwoch hatte sie auf Anfrage der Agentur Keystone-SDA noch gesagt, sie müsse zuerst ihre Gedanken ordnen und in Ruhe überlegen. Am Donnerstag kam dann die Absage per Twitter: «Mein Herz schlägt für Zürich», schreibt sie. Gemeinsam mit Jacqueline Fehr wolle sie sich im Regierungsrat für einen sozialen, ökologischen und sozial gerechten Kanton Zürich einsetzen. «Darum bleibt mein Ziel, am 12. Februar den zweiten SP-Sitz im Regierungsrat zurückzuholen!»

Kein Interesse an einer Kandidatur hat auch die Winterthurerin Mattea Meyer. Die Nationalrätin wurde erst vor wenigen Tagen als Co-Präsidentin der SP wiedergewählt und will sich derzeit auf dieses Amt konzentrieren.

Die kantonalen Sektionen haben bis am 21. November Zeit, der nationalen Partei Kandidatinnen und Kandidaten zu melden. Auf der Liste der Zürcher SP dürften noch ein paar prominente Namen figurieren, wie jene der Nationalrätinnen Jacqueline Badran oder Min Li Marti. Vielleicht geht am Ende aber doch Jositsch ins Rennen. Die Zürcher Parteileitung hält sich derzeit noch bedeckt. Co-Präsident Andreas Daurù sagt aber, die SP Schweiz habe sich für eine Frauenkandidatur entschieden und dies werde man auch unterstützen.

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