«Handelte aus tiefer ideologischer Überzeugung» – der Schweizer «Kollege» des Wiener Attentäters erhält eine bedingte Freiheitsstrafe von 180 Tagen

Weil er anderen Propagandavideos und Lieder der Terrormiliz Islamischer Staat vorspielte, hat die Bundesanwaltschaft einen jungen Winterthurer zu einem Strafbefehl verurteilt.

Fabian Baumgartner
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Zwei Winterthurer treffen sich mit dem Wiener Terroristen Kujtim F. zum Tee. Danach verbringen sie ein halbes Jahr in Untersuchungshaft.

Zwei Winterthurer treffen sich mit dem Wiener Terroristen Kujtim F. zum Tee. Danach verbringen sie ein halbes Jahr in Untersuchungshaft.

Illustration Anja Lemcke / NZZ

Die Schweizer Justizministerin Karin Keller-Sutter bezeichnete den 19-jährigen Arber (Name geändert) nach dem Anschlag vom 2. November 2020 als «Kollegen» des Wiener Terroristen. Doch auf dem Radar der Behörden war der junge Mann bereits zuvor erschienen. Die Ermittler hörten schon mit, als sich der damals noch Minderjährige 2019 zusammen mit anderen jungen Islamisten in einem Freizeitraum in Winterthur traf.

Sie hörten mit, als er im Frühling 2019 einem Kollegen den Trailer zu einem IS-verherrlichenden Video zeigte und als er Ausschnitte von blutrünstigen religiösen Liedern der Terrormiliz, sogenannte Nasheeds, abspielte. Eine der Zeilen lautet: «Um dich zu zerstören, wurde mein Schwert geschärft. Wir sind bei Nacht gelaufen, um zu schneiden und zu schlachten.»

Die Ermittler schnitten auch mit, wie er im Mai 2019 während der Fahrt auf der Autobahn einem Beifahrer zwei Nasheeds vorspielte. «Der Islamische Staat hat angegriffen und über die Götzen triumphiert», heisst es in einem der Lieder. Zudem fanden die Ermittler auf Arbers Smartphone mehrere Fotos von toten Männern und Frauen. Die Bilder hatte der junge Mann über den Messengerdienst Telegram erhalten.

Aus ideologischer Überzeugung gehandelt

Dafür hat ihn die Bundesanwaltschaft nun in einem Strafbefehl zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 180 Tagen wegen Verstosses gegen das IS-Gesetz verurteilt – bei einer Probezeit von 3 Jahren. Zudem muss er eine Busse von 1000 Franken zahlen. «Der Beschuldigte handelte aus tiefer ideologischer Überzeugung», hält der Staatsanwalt des Bundes fest. Aus präventiven Gründen komme deshalb einzig eine Freiheitsstrafe in Betracht. Der 19-Jährige hat den Strafbefehl akzeptiert.

Im Hauptpunkt hatte die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen den 19-jährigen Arber hingegen vor einigen Wochen eingestellt. Wegen des Wiener Attentats hatte sie eine Untersuchung gegen ihn und seinen Kollegen Mauro (Name geändert) eröffnet – unter anderem wegen strafbarer Vorbereitungshandlungen und Gehilfenschaft zu Mord. Die Strafuntersuchung erbrachte jedoch keinen Beweis, dass Arber und Mauro am Attentat beteiligt gewesen wären oder von diesem im Vorfeld Kenntnis gehabt hätten.

Die beiden Winterthurer kannten zwar den Attentäter Kujtim F., sie hatten im Sommer vor dem verheerenden Anschlag mehrere Tage mit ihm zusammen verbracht, bei ihm übernachtet, gegessen und Moscheen besucht. Doch mehr als ein paar Videos und Fotos des Attentäters, auf denen dieser mit Machete und Schusswaffen posiert, finden die Ermittler später nicht. Es sind zudem Bilder, die auch in diversen Medien publiziert wurden.

Arbers Anwalt kritisierte deshalb gegenüber dieser Zeitung das Vorgehen der Behörden. Die Strafuntersuchung sei mit maximaler Härte geführt worden. Doch mehr als das Treffen in Wien und die streng religiöse Gesinnung Arbers habe es nie gegeben. Arber und sein Verteidiger forderten deshalb eine Genugtuung von 33 000 Franken sowie Schadenersatz in der Höhe von 3400 Franken, weil der junge Mann durch die monatelange Untersuchungshaft seine Lehrstelle verloren hatte.

Behörden bürden Kosten für amtliche Verteidigung auf

Die Bundesanwaltschaft spricht ihm im Strafbefehl nun aber lediglich eine Genugtuung von 2000 Franken zu. Der Grund: Sie rechnete die Untersuchungshaft an die ausgesprochene Freiheitsstrafe an. Die Summe erhält Arber, weil ihm nach seiner Freilassung aus der Untersuchungshaft eine Reisebeschränkung auferlegt wurde und weil laut Bundesanwaltschaft durch die mediale Berichterstattung eine indirekte Identifizierung und Vorverurteilung des jungen Mannes nicht auszuschliessen ist.

Allerdings wird der junge Mann von dem Geld nichts zu sehen bekommen. Es verringert lediglich seine Schulden bei der Justiz. Denn im Strafbefehl hat ihm die Bundesanwaltschaft einen Grossteil der Verfahrenskosten auferlegt. Zudem wird er verpflichtet, den zuständigen kantonalen Behörden die Aufwendungen für die amtliche Verteidigung von über 16 000 Franken zurückzuzahlen – sobald es seine wirtschaftlichen Verhältnisse erlaubten.

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