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Grams' Sprechstunde: Kleiner Schritt für eine Ärztekammer, großer Sprung für die Menschheit

Unsere Kolumnistin, die Ärztin Natalie Grams-Nobmann, führt selbst die ärztliche Zusatzbezeichnung »Homöopathie«. Nun freut sie sich, dass diese aus Weiterbildungsordnungen von Ärztinnen und Ärzten gestrichen wird.
Globuli

Wie stolz war ich damals 2011, als ich die Zusatzbezeichnung »Homöopathie« erworben hatte! Vier Jahre später habe ich dann »Homöopathie neu gedacht« veröffentlicht, mein erstes Buch, und mich damit von der Homöopathie abgewandt. Der Erwerb der »ärztlichen Zusatzbezeichnung Homöopathie« stand 2015 in den Weiterbildungsordnungen sämtlicher Landesärztekammern und blieb dort auch in den Jahren darauf. Die zertifizierte Ärztekammer-Fortbildung war selbstverständlich und nicht hinterfragt.

Mitte Oktober 2021 haben 12 von 17 Landesärztekammern die »Zusatzqualifikation« aus ihren Weiterbildungsordnungen gestrichen. Als diese Kolumne geschrieben wurde, hat gerade Bayern eine solche Entscheidung getroffen: Eine große Mehrheit der Delegierten stimmte auf dem 80. Bayerischen Ärztetag dafür, die Zusatzbezeichnung Homöopathie – nach Ablauf einer Übergangsfrist – nicht mehr zu vergeben. Im Vorfeld gingen natürlich die Diskussionen hoch, das »Bayerische Ärzteblatt« veröffentlichte ein interessantes Pro und Kontra.

Was für eine Entwicklung! Was für eine Signalwirkung? Schön wäre es: Wenn die Ärzteschaft sich von der Homöopathie abwendet, dann sollte auch der Gesetzgeber das Thema allmählich nicht mehr ignorieren können.

Was kann die moderne Medizin leisten? Nutzt die Homöopathie? Was macht einen guten Arzt aus, und welche Rolle spielt der Patient? Die Ärztin und Autorin des Buchs »Was wirklich wirkt« Natalie Grams diskutiert in ihrer Kolumne »Grams' Sprechstunde« Entwicklungen, Probleme und eklatante Missstände ihrer Zunft. Alle Teile lesen Sie hier.

Worum dreht sich die Entscheidung der Kammern konkret? Zunächst einmal wird keinem Arzt und keiner Ärztin die Therapiefreiheit beschnitten, wenn die Weiterbildungsordnung geändert wird: Sie können weiter Homöopathie anbieten, und keinem Patienten und keiner Patientin wird die Möglichkeit genommen, dieses Angebot anzunehmen. Aber (ein großes Aber, das mich natürlich freut): Patienten und Patientinnen kann die Homöopathie dann nicht mehr als wirksame Therapie »verkauft« werden. Sie dürfen nicht einmal in diesem Glauben gelassen werden, denn das wäre eine aktive Täuschung.

Das gilt auch dann, wenn ein Arzt oder eine Ärztin nach wie vor von der Homöopathie überzeugt ist: Die Entscheidungen der Ärztekammern haben (endlich!) den Fehler korrigiert, der Homöopathie als ärztliche Zusatzqualifikation echtes Wissen zu bescheinigen – statt bloßen Glauben. Wenn die organisierte Ärzteschaft (endlich!) dazu steht, dass trotz intensiver Erforschung kein belastbarer Nachweis für die arzneiliche Wirksamkeit der Homöopathie erbracht werden konnte, dann muss das auch für die therapeutische Praxis Konsequenzen haben. Denn schließlich ist evidenzbasierte Medizin das Ziel und praktisch alle Landesweiterbildungsordnungen verpflichten sich, ihre Fortbildungen und ärztlichen Zusatzbezeichnungen auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand anzubieten.

Hoffentlich erschüttert diese Entscheidung den allzu verbreiteten, teils gedankenlosen Glauben, Homöopathie habe etwas mit wirksamer Medizin zu tun. Dieses »Wenn Ärzte das sogar auf dem Praxisschild führen, muss doch was dran sein!« kann nun (endlich!) bei vielen Menschen zurechtgerückt werden; das wäre in meinen Augen dann vielleicht der wichtigste Aspekt.

Warum wir nichts nicht abschaffen müssen

Übrigens: Wer unrechtmäßig erhaltene Privilegien gestrichen bekommt, ist deshalb nicht verboten worden. Auch wenn Schauergeschichten der Homöopathie-Lobby das gerne so zeichnen wollen: Wissenschaftsbasierte Kritiker oder die Ärzteschaft werden die Homöopathie nicht abschaffen oder gar unter Strafe stellen. Die Ärzte und Ärztinnen, die die Zusatzbezeichnung nun führen, dürfen sie behalten. Sogar ich. Man muss so realistisch sein, zu erkennen, dass es Homöopathie und Co immer geben wird – am besten außerhalb der Medizin. Warum auch nicht? Ohne die Adelung als Arzneimittel und therapeutisches Heilsversprechen habe ich nichts dagegen – auf eigene Verantwortung und Rechnung des Patienten und vor allem im Wissen darum, was man da eigentlich zu sich nimmt: ein Placebo aus »Nichts«.

Eine Frage wäre noch zu beantworten, die seit jeher von den homöopathischen Ärzten und manchen Patienten vorgebracht wird: Muss die Homöopathie nicht in ärztlicher Hand bleiben, damit sie nicht einem »unsachgemäß«, nichtärztlichen Behandelnden überlassen sind? Die Antwort ist: Nein. Zuallererst: Es gibt keine »sachgemäße« therapeutische Anwendung von Homöopathie, gleich wo und von wem. Wirksam wird sie ja nicht durch die Art oder Ausbildung der Behandelnden! Und müssten wir sonst nicht alles Mögliche aus dem Wunderkorb der Pseudomedizin konsequenterweise auch in ärztliche Hand geben? Auraheilung, Horoskope, Reinkarnationstherapie, Frequenzmittelchen und vieles andere verorten wir völlig zu Recht im Bereich der Esoterik und Scharlatanerie. Nur die Homöopathie ist als etwas geadelt worden, was sie nicht ist, nämlich Medizin. Diesen historischen Fehler machen wir nun rückgängig.

Es ist realistisch zu erwarten, dass homöopathieaffine Patienten weiter nichtärztliche Therapeuten wie etwa den Heilpraktiker aufsuchen werden. Sie dürften auch weiterhin stark auf Selbstbehandlung setzen; der Umsatz von rezeptfreien Homöopathika beläuft sich derzeit schon auf den Großteil des Gesamtumsatzes. Jetzt aber ist klargestellt, dass die allgemeine Ärzteschaft Homöopathie nicht länger als Therapieoption ansieht. Die Grenze zur Pseudomedizin ist nun endlich deutlich gezogen. Das kann im Übrigen so manchem Mediziner wichtige Leitplanken liefern. Auch Ärzte sind nicht vor falschem Glauben einfach deshalb sicher, weil sie Ärzte und keine Heilpraktiker sind, was sich nicht erst in wirren Zeiten wie der Coronapandemie gezeigt hat. Und aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass, wer an die Homöopathie glaubt, auch glaubt, dass sie heilen kann – egal, ob er oder sie Arzt oder Heilerin ist.

Hoffen wir auf ein Nachziehen der letzten übrig gebliebenen Landesärztekammern, auf eine Anpassung der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer so bald wie möglich und auf die erhoffte Signalwirkung auf Patientinnen und Patienten und auch auf den Gesetzgeber. Schließlich gibt es bei der Homöopathie noch viele andere Baustellen (*hust* ungerechtfertigter Arzneimittelstatus, Krankenkassenerstattung, Apothekenpflicht). Es gibt noch viel zu tun, aber: Ich hätte die jüngste Hoffnung machende Entwicklung damals bei meinem Abschied von der Homöopathie wirklich nicht für möglich gehalten. Es war ein kleiner Schritt für eine Ärztekammer, aber ein großer Sprung für uns alle – hin zu einer besseren, ehrlichen und wirklich patientenbezogenen Medizin!

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