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Mathieu von Rohr

Die Lage am Morgen Warum sagen nicht mehr Russen Nein?

Mathieu von Rohr
Von Mathieu von Rohr, Leiter des SPIEGEL-Auslandsressorts

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um die Frage, ob russische Reservisten sich gegen ihre Einberufung wehren können. Wir widmen uns der Bilanz nach einem Jahr Ampelkoalition und der Besserwisserei von Olaf Scholz. Und wir schauen auf eine Reise von Annalena Baerbock nach Indien.

Der Russe, der nicht töten will

Es ist eine Frage, die Ukrainer den Russen immer wieder stellen: Warum sagt ihr nicht Nein? Warum lasst ihr euch in diesen Krieg schicken, warum wehrt ihr euch nicht? Es stimmt zwar: Hunderttausende Russen haben sich dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzogen. Aber rund 300.000 Männer sind bei der Mobilmachung in diesem Jahr eingezogen und in den Kampf geschickt worden, kaum ausgebildet, kaum ausgerüstet – viele von ihnen sind schon gestorben.

Russischer Priester segnet eingezogene Reservisten bei Rostow am Don

Russischer Priester segnet eingezogene Reservisten bei Rostow am Don

Foto: Sergey Pivovarov / REUTERS

Meine Kollegin Christina Hebel, die Moskauer Büroleiterin des SPIEGEL, ist der Frage nachgegangen, ob man sich dagegen wehren kann: Sie erzählt die Geschichte des 27-jährigen Kirill Beresin, der sich als Patriot bezeichnet und dennoch versucht, gerichtlich gegen seine Einberufung vorzugehen – weil er einfach nicht töten will. Doch das Regime von Wladimir Putin will ihn dazu zwingen.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

Ein Jahr Ampelkoalition

In der nächsten Woche wird die Ampelkoalition ein Jahr alt. Dass sie eine reine Erfolgsgeschichte wäre, lässt sich bisher nicht sagen. Der russische Krieg gegen die Ukraine hat den Plänen von der innenpolitischen Reformkoalition einen Dämpfer versetzt. Bundeskanzler Olaf Scholz muss sich seit Februar vor allem mit Außenpolitik, Waffen und einer Energiekrise beschäftigen.

Das hatte nicht nur er sich einst ganz anders vorgestellt; auch die Mehrheit der Deutschen ist von der Regierung enttäuscht. Was man von der Regierungskoalition ein Jahr danach halten kann, was gelungen ist und was nicht, das erklären meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Hauptstadtbüro in diesem Artikel:

Der Kanzler, der alles besser weiß

Ein Jahr Ampel, das bedeutet auch: ein Jahr Bundeskanzler Scholz. Scholz hat seinen altbekannten Ruf, selbst für einen Hamburger enorm trocken zu sein seither ergänzt um den Ruf, ein notorischer Besserwisser zu sein. Nicht nur der eine oder andere Außenpolitikexperte, der in den vergangenen Monaten ins Kanzleramt eingeladen wurde, berichtete anschließend, dass man dort grundsätzlich alles besser zu wissen glaube.

Scholz liest viel

Scholz liest viel

Foto: Clemens Bilan / EPA

In einem Regierungsamt können Neugier und Offenheit für andere Meinungen hilfreich sein. Doch Scholz wirkt, so berichten es meine Kollegen Melanie Amann und Martin Knobbe, auf seine Gesprächspartner oft belehrend und überheblich. In ihrer Recherche gingen sie der Frage nach, wie es dazu kam.

Die Antwort: Der Kanzler liest die ganze Zeit, er liest vor allem Sachbücher. Auf Grundlage dieser Lektüre bildet er sich ein Bild von der Welt – das danach manchmal so abgeschlossen ist, dass er andere Ansichten an sich abperlen lässt.

Wenn Sie erfahren möchten, welche Autoren die Weltsicht des Kanzlers prägen, so lesen Sie gern hier:

SPIEGEL-Titel: Warum Tausende Chinesen auf die Straße gingen

Zu Beginn der Coronapandemie wurde ernsthaft die Frage debattiert, ob Diktaturen Demokratien überlegen sind, insbesondere weil China so hart und scheinbar effektiv gegen das Virus vorging – unter dem Beifall der Bevölkerung.

In der SPIEGEL-Titelgeschichte erzählen meine Kollegen Christoph Giesen in Peking und Georg Fahrion in Shanghai zusammen mit dem langjährigen China-Korrespondenten Bernhard Zand, wie diese vermeintliche Erfolgsgeschichte für das Regime kippte – und zur bisher größten Herausforderung für die Herrschaft von Xi Jinping wurde.

Demonstranten am 27. November in Peking

Demonstranten am 27. November in Peking

Foto: Mark R. Cristino / EPA

Große Teile der Bevölkerung wollen die dystopische Null-Covid-Politik des Regimes nicht mehr mittragen, Tausende gingen in Dutzenden Städten auf die Straßen, es waren die ersten großflächigen und koordinierten Demonstrationen im Land seit 1989.

Doch das Regime kann die Maßnahmen nicht einfach lockern, weil die Bevölkerung unzureichend geimpft ist und Millionen Tote drohen. Das bedroht das chinesische System zwar nicht, aber setzt es unter Stress. Lesen Sie die Titelgeschichte über das Virus der Freiheit hier:

Was Baerbock in Indien macht

Am Sonntag bricht Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nach Indien auf. Die Reise ist Teil der neuen deutschen Bemühungen, sich in Asien nicht länger nur auf China zu stützen, sondern neue Verbündete und Geschäftspartner zu suchen.

Baerbock beim OSZE-Gipfel in Polen am Donnerstag

Baerbock beim OSZE-Gipfel in Polen am Donnerstag

Foto: Radoslaw Jozwiak / AFP

Indien bietet sich dafür an. Es wird im nächsten Jahr voraussichtlich den Rivalen China als bevölkerungsreichstes Land überholen. Wirtschaftlich hat es großes Potenzial. Geopolitisch hat es Gewicht. Auch deswegen versuchen westliche Diplomaten seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine, Delhi vom langjährigen Verbündeten Moskau loszueisen – mit bisher eher bescheidenem Erfolg.

Baerbock will mit ihrem indischen Amtskollegen Subrahmanyam Jaishankar aber auch über den Krieg sprechen, zudem soll es um Projekte im Bereich erneuerbarer Energien gehen. Baerbock will auch NGOs besuchen, die sich für Frauenrechte einsetzen. Es ist eine Reise, auf der sich alles verbinden lässt: Geopolitik, Geschäft und Moral.

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Verlierer des Tages…

Ramaphosa

Ramaphosa

Foto: Justin Tallis / AFP

…ist Cyril Ramaphosa, Staatspräsident von Südafrika, der einst als Korruptionsbekämpfer und Hoffnungsträger gewählt wurde – und dem jetzt ein Amtsenthebungsverfahren droht.

Ramaphosa folgte 2018 auf Jacob Zuma, dem die Plünderung der Staatskasse vorgeworfen wurde. Der neue Präsident, der in der Anti-Apartheid-Bewegung groß geworden war, einst elf Monate in Isolationshaft saß, wirkte nach 1991 an der neuen demokratischen Verfassung mit: Die Freude über den neuen Präsidenten mit seiner großen persönlichen Glaubwürdigkeit löste eine »Ramaphorie« im Land aus.

Doch nun steht der Mann im Zwielicht: Es geht um einen ominösen Raubüberfall auf eine Viehranch des Präsidenten, es geht um gestohlene Millionenbeträge in bar – und um die Frage, warum Ramaphosa den Verlust nicht der Polizei meldete, aber seinen Sicherheitschef privat Verdächtige jagen ließ. Die Frage lautet: Hat Ramaphosa sich an die Gesetze gehalten? Der beliebte Präsident will nun angeblich zurücktreten, doch viele Politiker wollen ihn laut südafrikanischen Medienberichten davon abhalten – aus Angst, was nach ihm kommen könnte.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Podcast Cover

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Ein Mann wehrt sich gegen die Mobilmachung: Zehntausende zwangsrekrutierte Russen kämpfen in der Ukraine. Kaum einer wagt, gegen die Einberufung vorzugehen. Kirill Beresin aus Sankt Petersburg hat es versucht. Das ist seine Geschichte .

  • »Die gleiche Kacke wie vorher, nur mit einer bunten Schleife drum herum«: Im Januar löst das Bürgergeld nach 18 Jahren Hartz IV ab. Betroffen sind 5,3 Millionen Grundsicherungsempfänger. Und 405 Jobcenter mit fast 75.000 Beschäftigten. Ein SPIEGEL-Team hat gefragt, was die Basis von der Reform hält .

  • Endlich Fläschchen leer: Die EU-Kommission will die kleinen Einwegflaschen für Shampoo und Duschgel in Hotels verbieten. Ein Sieg der Vernunft .

  • Herzhaftes Ja, entsetztes Nein: Gefürchtet und gehasst, geschätzt und geliebt – nur gleichgültig lässt Alice Schwarzer niemanden. Jetzt wird sie 80: Glückwunsch an eine Feministin, die seit einem halben Jahrhundert die Frauen in Deutschland bewegt .

  • Das müssen Sie beachten, wenn Sie ein gebrauchtes Elektroauto kaufen: Lohnt der Umstieg auf ein E-Auto? Neue Modelle sind vielen Menschen zu teuer, manche schauen sich daher bei Gebrauchten um. Doch Vorsicht: Der Zustand der Batterie ist nicht so einfach richtig einzuschätzen .

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Ihr Mathieu von Rohr

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