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M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Rein in den Bademantel

Micky Beisenherz
© Dieter Braun/stern
Urlaub allein mit der kleinen Tochter bietet viele merkwürdige Momente. Die Zeit ist immer zu knapp – und das Programm Verhandlungssache.
Von Micky Beisenherz

Hinter der Motorhaube des alten Mercedes ruft es piepsig-erbost "Papa, hör auf!" hervor. Lediglich eine Mütze und ein Paar Augen lugen über die Kante des Fahrzeugs, hinter dem sich meine Tochter noch kurz erleichtert. Hier in den Dünen gibt es Muscheln zum Sammeln, aber keine öffentlichen Toiletten. Doch Kinder sind Pragmatiker. Dabei ist mein Kind nicht mehr nur ein Kind, sondern vor allem: ein Mädchen.

Und insofern sind die Zeiten natürlich vorbei, in denen Papa einfach in jedem Moment die Kamera draufhalten konnte. Und sei es nur, um den iPhone-Speicher weiter mit spektakulären Banalitäten zu füllen. "Papi, du sollst mich nicht immer fotografieren." Das sagt sich so leicht. Ist doch so ziemlich jeder Augenblick, jeder Ausdruck in diesem süßen Gesicht es wert, für die Nachwelt festgehalten zu werden.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Urlaub mit der Tochter – hier gibt es keine Ablenkung durch Verwandte, keine Zuneigungsdiffusion zu verschiedenen Menschen hin. Hier sind nur eine Tochter und ihr Vater. Und ein Schwimmbecken. "Papi, wenn wir im Hotel sind, dann springen wir sofort in den Pool!", sagt sie und blickt mich verschwörerisch an. So machen wir es natürlich. Kaum auf dem Zimmer, schmeißen wir unser Gepäck in die Ecke, Klamotten aus und rein in die Bademäntel, sie mit ihren süßen Füßen in die winzigen Schläppchen, runter mit dem Lift und einmal wie der späte Udo Jürgens in weißem Frottee durch die Lobby.

"Ich weiß, was ich will." Und das weiß sie. Bei Gott. Rein in das Becken. Die frischen Seepferdchen-Skills einmal zur Schau stellen. Grenzen austesten. Vom Beckenrand springen, bis die studentische Aushilfskraft uns in dem völlig leeren Bereich mit kippeliger Autorität darauf hinweist, dass das nicht erlaubt sei. Ein kurzer Blickwechsel. Kichern. Abrubbeln. Im Bademantel auf der Liege Apfelschorle trinken.

Fußballgucken in der Kneipe ist nicht möglich

Doch nicht nur der hoteleigene Aushilfsbademeister hat seine liebe Mühe mit ihr. Auch ich werde im Folgenden von dem kleinen blonden Mussolini durch sämtliche Ecken der Insel gescheucht. "In Westerland gibt es einen Spielzeugladen, da kauft Omi mir immer was." Wir haben dann wirklich jeden Winkel der Stadt durchkämmt, bevor wir dieses Geschäft gefunden hatten. Zeit zu zweit. Miteinander fein essen gehen. Unterhalten. Allein den Weg zur Restauranttoilette finden.

Dazu dieser trockene Humor. "Pass auf beim Balancieren! Sonst fällst du hin und schlägst dir die Vorderzähne aus." "Aber das ist doch toll, Papi. Dann kommt wenigstens die Zahnfee und bringt mir was." Sehr pragmatisch.

Wir fahren über die Insel und hören Musik. Beide haben wir unsere Playlists und spielen wechselweise unsere Hits. Was bei ihr vornehmlich das entsetzliche Zeug ist, das in den Hitradios läuft, während sie bei den seltsamen verbalen Ausbrüchen die Augen rollt, wenn Kanye West sonderbar schreit oder Bon Iver das Falsett in die Höhe schraubt.

Meine Tochter rächt sich, indem sie mir verbietet, zumindest die letzten 15 Minuten des Bundesligaspieltages mit ihr bei einem Bier in einer Kneipe gucken zu dürfen. Ich drehe mich wütend murmelnd ("Sehr unangenehme Diskussion mit diesem Kind!") weg wie sonst nur Friedrich Merz, wenn Hubertus Heil ihn ärgert. Stattdessen zurück ins Hotel.

Rein in den Bademantel. Er legt sich warm und flauschig um uns wie eine schöne Kindheit. Es ist immer zu wenig Zeit. Aber unsere Erinnerung hat eine unglaubliche Kraft, diese zu dehnen. Bis mit dem Klappern der Muscheln in der Waschtrommel der Alltag wieder läutet.

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