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M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Fußball-Nostalgie: Als die Spieler noch Schnauzer und Vokuhilas trugen

Micky Beisenherz
© Dieter Braun/stern
Nein, früher war nicht alles besser. Aber in der Bundesliga manches schon. Es war zum Beispiel schön, dass man nicht vorher wusste, wer gewinnt.
Von Micky Beisenherz

Diese Männer. Diese wirklich alten Männer, die mich damals aus ihren Fensterchen in den Sammelalben anblickten: blonde Mittelscheitel, Kriminalkommissarblick – und alle mit Schnauzer. Sie waren damals zwar älter als mein achtjähriges Ich, jedoch bedeutend jünger als ich heute. Vermutlich alle so 27.

27-Jährige sehen heute aus wie 27-Jährige. Damals sahen sie halt alle aus, als kämen sie aus Carsten Maschmeyers alten Firmenvideos. Ich bestaunte Typen wie einen Vokuhila-Torpedo namens Uwe Rahn, der beim "Top-Spiel" am Freitagabend als Gladbacher sogar die Bayern in Unruhe versetzte.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Das muss so 1987 gewesen sein. Ich war Co-Jubler meines Vaters und meines Bruders, beide leidenschaftliche Fohlen-Fans. Zumindest mein treuer Bruder quälte sich durch die tristen 20 Jahre, die folgen sollten, während mein Vater sich irgendwann rückgratlos an den Hals der Dortmunder Borussia warf. Heute, 2021, sind die Borussen immer noch (oder wieder) in der Lage, die Bayern zu ärgern.

Wenngleich die Dominanz des Todessterns des Südens niemand anzweifeln würde. Die Bayern. Immer wieder die Bayern.

Egal, wer in den vergangenen Jahrzehnten die Mannschaft der Stunde war – sie musste zunächst an den Bayern vorbei. Klar: Dass die Lederhosen-Elite zuletzt neun Mal am Stück Meister geworden ist, hat nichts mit krimineller Energie zu tun, sondern mit sportlicher Exzellenz – und der Blödheit der anderen.

Aber mei, es ist halt a weng fad.

Natürlich ist das, was da auf dem Feld geboten wird, sportliche Extraklasse, sind ein Goretzka, Gnabry oder Kimmich tolle Fußballer. Allein – das war es.

Dieser Robert Lewandowski, ein Stürmer so effizient wie ein Diamant-Kernbohrgerät. Leider auch so spannend. Den Rekord des Bombers Gerd Müller hat er unlängst gebrochen. Dessen euphorisierende Präsenz wird er nie erlangen.

Nie diese Liebe.

Zum Glück ist da jetzt noch Haaland, dieser norwegische Büffel, der mit seiner seltsam entrückten Brachialgewalt ein wenig Farbe in den Effizienzbetrieb Bundesliga bringt. Er hat ja neuerdings diese Optik – seltsamer Herrendutt in Kombination mit heillos überteuerten Luxusstramplern, die zu schreien scheint: "Ich bin bereit für eine Beziehung mit Sophia Thomalla." Immerhin ein kleines bisschen Extravaganz. Toll!

Der irre Kahn, der verbal lustvoll irrlichternde Scholl – ich vermisse das

Ja, dieses Geschrei nach den "echten Typen im Fußball" hört man immer wieder. Allein, nur weil auch die Dümmsten des Landes es brüllen – falsch ist es nicht. Der FC Bayern hat mehr Spaß gemacht, als er unter dem Synonym "Dusel-Bayern" zwar hässlich gewonnen, dafür aber abseits des Platzes Spaß gemacht hat: der irre Kahn, der verbal lustvoll irrlichternde Scholl. Die "Pizzeria-Affäre", der "FC Hollywood". Ich vermisse das.

Seit Jahren wünscht man sich, dass das ewige und ewig gleich endende Duell Bayern gegen Dortmund durchbrochen werden möge von weiteren Mitbewerbern – aber welcher Verein wäre es dann?

Die deutsche Filiale der Dosensekte Red Bull, RB Leipzig? Professionell und clever, aber eben auch komplett antiseptisch geführt von Leuten wie Oliver Mintzlaff. Es ist die Stunde der Technokraten. Sagrotanorexie in allen Arenen.

Kein Wunder, dass es immer mehr zu Westfalia Herne oder Victoria Hamburg in die unteren Liegen zieht – hin zur gelebten Niederlage sozusagen.

Merke: Das Scheitern ist menschlich. Und lebensechte Menschen haben wir zuletzt viel zu selten gesehen.

Micky Beisenherz freut sich auf Sie: Was bewegt Sie? Tauschen Sie sich mit unserem Kolumnisten aus: www.facebook.com/micky.beisenherz

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