Die Quereinsteigerin:"Ich rede immer und muss nicht atmen"

Die Quereinsteigerin: "Better late than never": Das T-Shirt erzählt mit vier Worten die Lebensgeschichte von Schauspielerin Corinna Binzer.

"Better late than never": Das T-Shirt erzählt mit vier Worten die Lebensgeschichte von Schauspielerin Corinna Binzer.

(Foto: Florian Peljak)

Eigentlich arbeitete Corinna Binzer im Büro. Doch als sie 33 Jahre alt war, kam sie mit dem Schauspieler Sepp Schauer zusammen - und ging danach selbst auf die Bühne. Über eine Frau, die viel redet und viel tut.

Von Gerhard Fischer

Die Schauspieler Sepp Schauer und Johann Schuler suchten eine Frau. Sie wollten zwei Einakter von Anton Tschechow auf Bairisch spielen, was fehlte, war eine Schauspielerin für die Frauenfigur. Eine Bewerberin hatte abgesagt; eine andere, die es machen wollte, kam nicht in Frage. Mit am Tisch saß Corinna Binzer, Schauers Freundin. Da sagte Schuler: "Und wenn's sie macht?" Er meinte Binzer. "Moanst, dass sie's kon?", fragte Schauer. "Des lern ma ihra scho", sagte Schuler.

Corinna Binzer, 55, sitzt an einem sonnigen Aprilmorgen vor einer Boulangerie im Werksviertel. Sie hat gerade die Geschichte mit Schauer und Schuler erzählt, und sie könnte jetzt sagen: "So sind sie eben." Aber das muss sie nicht. So, wie Binzer an diesem Morgen ausführlich über die beiden Männer redet, nämlich vor allem liebevoll und mit viel Humor, ist fast alles gesagt. Und den Rest erzählt Binzers Leben, das mit Mitte 30 plötzlich in eine ganz andere Richtung ging. Heute ist sie Autorin, Schauspielerin und Kabarettistin.

Binzer wuchs in Berg am Laim auf, und schon als Teenager war sie offenbar tüchtig. "Ich habe im Supermarkt gearbeitet, um mir Turnschuhe kaufen zu können", erzählt sie. Sie weiß auch noch den Preis: 150 Mark. Später habe sie "immer neben meinem festen Beruf etwas gearbeitet", zum Beispiel als Bedienung auf der Wiesn, um sich etwas gönnen zu können.

Sie redet ohne Tempolimit, sagt: "Man darf und muss mich unterbrechen"

Es ist eine Viertelstunde vergangen. Binzer kommt nicht dazu, ihren Cafe Americano anzurühren. Sie redet ohne Tempolimit, und das weiß sie natürlich selbst. "Man darf und man muss mich unterbrechen", sagt sie. Und sie meint es so. Corinna Binzer ist kein Mensch der Zwischentöne.

Ach ja, der feste Beruf. Binzer, die ein Motorradfan ist, wurde nicht Kfz-Mechanikerin, denn dort, wo sie sich bewarb, hieß es damals: "Wir bauen doch keine Damentoilette für dich." Sie machte stattdessen bei einer Elektronikfirma eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Später ging sie als Team-Assistentin für fünf Jahre nach Niederbayern und kam mit Kleidergröße 46/48 zurück. "Da war nur Arbeit und Essen, Essen und Arbeit", sagt Binzer, für die es eine leichte Turnübung ist, sich selbst auf den Arm zu nehmen. Die Tochter, die sie früh bekommen hatte, war in dieser Zeit übrigens bei den Großeltern in Unterhaching.

Binzer arbeitete sich in ihrer Firma hoch bis zur "Abteilungsleiterin Messe", und dann traf sie, mit 32, Sepp Schauer wieder.

Als sie Sepp Schauer das erste Mal sah, war es um sie geschehen

Dazu muss man wissen, dass Binzer 1985, mit 18, Schauer zum ersten Mal gesehen - und sich verliebt hatte. Sie sagt es etwas melodramatischer: "Es war um mich geschehen." Aber sie hatte nichts unternommen, denn Schauer ist 18 Jahre älter. "Das hätte damals nicht geklappt", sagt sie. Zur Oma habe sie damals gesagt, sie habe ihren Traummann gefunden, und diese habe geantwortet: "Wenn er es ist, wird eure Zeit noch kommen."

14 Jahre später traut sie sich. Sie werden ein Paar.

Binzer hat die Liebesgeschichte natürlich ausführlicher erzählt, weil sie das Herz auf der Zunge trägt. Und weil es vielleicht die Geschichte ihres Lebens ist. Sie schilderte das erste gemeinsame Weihnachten, das erste gemeinsame Silvester. Selbst das Datum, an dem sie ein Paar wurden, verriet sie: "Seit 15. März 2000 sind wir beinander." Sie war damals 33.

Sie lacht kurz, als sie die lange Geschichte schließlich beendet hat. "Ich rede immer und muss nicht atmen", sagt sie. "Ich habe wohl Kiemen." Das belegte Brot, das sie gekauft hat, liegt neben dem Cafe Americano. Sie kommt nicht dazu, es zu essen.

Schauer ermutigte Binzer zu schreiben. "Ich hatte das früher schon gemacht - wenn ich für die Firma auf Reisen war, habe ich kleine Geschichten geschrieben", erzählt sie. Jetzt schrieb sie kleine Programme, die Schauer dann aufführte, zum Beispiel an Weihnachten.

Als ihre Firma schließen musste, riet ihr Schauer: Such dir einen Halbtagsjob und nutze die freie Zeit, um zu schreiben.

Die erste Premiere: Noch heute kriegt sie Gänsehaut bei der Erinnerung

Und dann kam der Abend, an dem Schauer und sein Freund Schuler eine Frau für die Tschechow-Einakter suchten. Corinna Binzer, die nie eine Schauspielschule besucht hatte, probierte es. In der Nacht vor der Premiere konnte sie nicht schlafen. "Es war die Hölle", erzählt sie, "und kurz vor der Vorstellung hatte ich den Text vergessen. Dann bin ich raus und habe mich ganz falsch platziert - ich sollte ins Zentrum, aber ich bin hinter die Eckbank und habe mich daran festgehalten." Doch dann war der Text wieder da, und am Ende, erzählt sie, jubelte das Publikum. "Ich kriege heute noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke."

Marcus H. Rosenmüller, der als junger, unbekannter Mann bei den Tschechow-Einaktern Regie führte, gab Binzer eine kleine Rolle in seinem Film "Wer früher stirbt ist länger tot"; und die Regisseurin und Drehbuchautorin Steffi Kammermeier, die bei der Tschechow-Premiere zuschaute, holte Binzer zum Komödienstadel. "Bis jetzt habe ich 22 Komödienstadel gespielt", sagt sie.

Mit 40 gab sie ihre Nebenjobs auf, um ganz als Schauspielerin und Schreiberin zu arbeiten. Sie spielte in einem Utta-Danella-Film die Geliebte von Wolfgang Fierek; sie macht die BR-Sendung "Hinter den Kulissen", für die sie bayerische Städte besucht und Unbekanntes zeigt: Was hat, zum Beispiel, Bayreuth außer dem Festspielhaus zu bieten? Sie schrieb die "Münchner Sturmwarnung" für Sepp Schauer, der den Grantler Sepp Sturm spielt; sie fängt gerade an, ein Programm für sich und Schauer zu verfassen. Und im Herbst wird sie ihr zweites Soloprogramm starten, es heißt "Sie is sie. Schicksalsjahre einer Binzerin".

Binzer sagt, sie sei "unglaublich dankbar, dass ich das so leben darf". Auf die Frage, ob sie früher davon geträumt habe, mal als Autorin und Schauspielerin zu arbeiten, meint sie: "Nein, denn ich war immer zufrieden mit dem, das ich getan habe." Das liege vielleicht auch daran, weil sie aus einer "super geerdeten Familie" komme.

Jeden Tag schreibt sie ihrem Mann eine Postkarte

"Übrigens", sagt sie dann unvermittelt, es ist einer ihrer Gedankensprünge. "Übrigens schreibe ich dem Sepp jeden Tag eine Postkarte." Da gehe es, natürlich, um die Liebe, aber auch um die aktuellen Dinge des Alltags. Sie stecke ihm die Postkarten in den Geldbeutel oder lege sie ihm aufs Kopfkissen. Dafür hat er ihr mal einen Ring aufs Kopfkissen gelegt. Sie hat Ja gesagt.

Bleibt die Frage, was sie sich beruflich noch wünsche. Corinna Binzer überlegt auch hier nicht lange. Sie sagt: "Eine Hauptrolle mit Facetten, ein verletzliche, tiefgründige Frau - und nicht nur, wie bisher, eine starke Frau, die über alle drüberrauscht."

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