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Finale Staffel "House of Cards": Brachiale Madam President

Alphatier folgt Alphatier: Robin Wright agiert als US-Präsidentin Claire Underwood in der sechsten Staffel von "House of Cards".


Man stelle sich vor, „Neo Magazin Royale“ müsste ohne Jan Böhmermann auskommen oder „GZSZ“ ohne Jo Gerner. Klingt unglaublich? Mag sein. Aber nicht unglaublicher, als kürzlich noch ein Kanzleramt ohne Angela Merkel geklungen hätte.

Wenn selbst im Elfenbeinturm der Politik kein Rückzug ausgeschlossen scheint, kann das also auch am Bildschirm gelten. Schließlich ist Merkels fiktiver Amtskollege aus dem Oval Office dort gerade weggestorben und nichts mehr, wie es war im ruhigen Fahrwasser der Fernsehunterhaltung.

„House of Cards“ ohne Kevin Spacey! Damit sind wir zum Start des Serienfinales bei der zentralen Frage des Entertainments, zu dem im Medienzeitalter auch die Politik zählt: Wer ist noch unersetzbar? Antwort: Niemand. Und alle. Denn „House of Cards“, das war für Kritik wie Publikum auch dank des Hauptdarstellers fünf Staffeln lang nicht nur sehenswert, sondern die bestmögliche Politikfiktion.

Besser als das BBC-Original und „Borgen“, besser als „West Wing“ oder „The Good Wife“. Vor allem: Besser als die Realität, in der sich selbst verlogene Narzissten auf dem Weg ins Weiße Haus wenigstens Morde verkneifen.

Faszinierendste Frauenfigur aller Fernsehzeiten

Dem Francis Underwood von Kevin Spacey indes war kein Mensch zu wertvoll, um mit seiner Leiche nicht den Weg nach oben zu pflastern. Bis auf einen: seine Frau Claire. Die vielleicht faszinierendste Frauenfigur aller Fernsehzeiten ist so imposant, abgründig und sexy, so intrigant, ehrgeizig und klug, dass sie im Finale von „House of Cards“ das Unfassliche schafft: Kevin Spacey noch zu steigern.

Nachdem er ihre Präsidentschaft am Ende der fünften Staffel mit einer Reihe – laut einhelliger Meinung des politischen Washington – glaubhafter Kabalen erwirkt hatte, stirbt Francis vor der sechsten, weil sein Darsteller im #MeToo-Orkan untergegangen ist.

Robin Wright übernimmt seinen Part als machtbesessenes Alphatier. Gleich zu Beginn lässt sie sich Hassmails vorlesen, mit denen die erste Frau im Amt bombardiert wird. Selbst Tötungsfantasien will Claire Underwood hören. „Jede einzelne“, sagt sie und schaut dabei so süffisant wie Francis.

Dennoch: „Was immer er versprochen oder getan hat“, mahnt sie bei einem der Grabenkämpfe im eigenen Umfeld, „wurde mit ihm beerdigt“. Aber nicht jede Attitüde, auch seine Nachfolgerin wendet sich gern ans Publikum. Um ein für allemal zu klären: Ich mache alles anders.

So weit die Theorie. In der Praxis regiert Madam President von Beginn an so brachial, dass ihr schon nach 20 Minuten eine Kugel um die Ohren fliegt. Und als sie im ersten Cliffhanger verrät, „ein Mann wie Francis stirbt natürlich nicht einfach“, nährt das den Verdacht, eine Frau wie Claire sei daran nicht unschuldig.

Trotzdem ist sie schon deshalb interessanter als Francis, weil seine Rücksichtslosigkeit allenfalls einer schwierigen Kindheit entsprang, während die ihre auch um weibliche Befreiung von männlicher Dominanz ringt. Francis’ Machtgier spiegelt sich so gesehen in Kevin Spaceys Privatleben. Die emanzipatorische Abwehrschlacht der Serienpräsidentin dagegen wurde über Jahre auch von Robin Wright ausgefochten. Für gleiche Bezahlung gleicher Arbeit. Sie hat ihn gewonnen.

Finale Staffel - oder doch nicht?

Denn nach 65 Einsätzen steht die 52-Jährige endlich da, wo sie hingehört: auf Platz eins der Besetzungsliste. Ob nur für die finale Staffel, wie Sky und Netflix beteuern, dürfte allerdings auch von den Zugriffszahlen abhängen. Schließlich führt ein Rückzug tragender Hauptfiguren nicht zwingend zum Bedeutungsverlust.

Roseanne Barr zum Beispiel hatte sich mit rassistischen Tweets aus jener Serie geworfen, die 30 Jahre ihren Vornamen trug. Dem Erfolg des Spin-offs „The Connors“ tat der Spitzenpersonalwechsel jedoch keinen Abbruch. Auch Patrick Dempseys Rauswurf bei „Grey's Anatomy“ kostete weder An- noch Zuspruch. Was man von „Two and a half Men“ weniger behaupten kann. Als Charlie Sheen den Filou nach 201 Episoden an Ashton Kutcher übergab, ging mit dem Niveau auch das Publikum flöten.

Zumindest Ersteres gilt hierzulande für den „Dicken“, mit dem Dieter Pfaff bis zu seinem Tod einen ungewohnt stillen TV-Typ kreiert hatte. Dass sein Nachfolger Herbert Knaup Tiefgang durch Drolligkeit ersetzt, schadet allerdings nur der Qualität, nicht der Quote.

Wohin beides bei „House of Cards“ steuert, bleibt offen. Doch die Tatsache, dass Protagonist und Antagonist, Gut und Böse erstmals in Gestalt einer Frauenfigur verschmelzen, macht Hoffnung auf die Kraft der Emanzipation im Filmgeschäft. Wenn auch nur für acht Folgen. Vorerst.

House of Cards“, sechste Staffel, acht Folgen, von Freitag an bei Sky Atlantic jeweils um 22 Uhr Doppelfolge; komplette Staffel bei Sky Ticket

Jan Freitag

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