Es ist so etwas wie der Kalenderspruch der „Manifest Destiny“, der schicksalhaften Ausbreitung der historischen USA nach Westen. Wer es zuerst gesagt hat, weiß keiner so genau – vielleicht ist es ein Zeitungsmann namens Horace Greeley gewesen –, aber „Go West, young man“ ist, sobald im Westen nicht mehr die Wildnis, sondern nur noch Hollywood wartete, auch lange das Programm des Western gewesen. Es gibt sogar einen Western, der so heißt, allerdings ist der schon 1936 eine Komödie gewesen. „Go West, young man“, das ist halt so lange her, dass sogar Neo- und Spätwestern prägende Kinoerlebnisse bereits älterer Herrschaften sind.
Allerdings: Der Western hat einen unschätzbaren Vorteil. Verlogen, wie das Genre über Jahrzehnte war, ist jede Menge Aufarbeitung zu leisten. Dass es auch schwule Cowboys gab, davon hat „Brokeback Mountain“ erzählt, von fiesen (aka toxischen) Cowboys berichtete neulich „The Power of the Dog“, „The Harder They Fall“ wurde im vergangenen Jahr als „erster Black-Power-Western“ begrüßt, und eigentlich ist ja auch Barry Jenkins’ viel gerühmte Serie „Underground Railroad“ ein Western, der vom Cowboy nicht als Vieh-, sondern als Sklaventreiber erzählt.
Womit wir – nach zwei vermutlich zu langen Absätzen – bei „Outer Range“ angekommen sind, der zweiten Serien-Großproduktion nach „Underground Railroad“, die sich einem Deal von Brad Pitts Produktionsfirma Plan B mit den Amazon Studios verdankt. Und auch „Outer Range“ ist ein Western, allerdings einer, der in der Gegenwart Wyomings spielt und obendrein erst gar nicht so tut, als wäre er „realistisch“.
Weit draußen
Denn auch der Western erlebt gerade seinen magic turn: In „Underground Railroad“ ist es die Underground Railroad selber gewesen, die mit dem Realismus brach, weil sie nicht metaphorisch, sondern buchstäblich durch Amerikas dunklen Untergrund ratterte; in „Outer Range“ ist es ein kreisrundes, unerklärliches, tiefschwarzes Loch, das sich eines Tages auf dem Land von Rancher Royal Abbott (Josh Brolin) auftut – und das selbstredend auf der Weide im Westen.
Symbolisch steht dieses Loch für eine unbewältigte Vergangenheit, aber es mischt sich auch ganz praktisch in den Plot, der auf fast schon ekstatische Weise eklektisch ist. Denn das schwarze Loch auf der Weide ist – so viel kann man verraten – ein Zeitportal, was aus „Outer Range“ wie nebenbei einen etwas verdrehten Science-Fiction macht. Es ist aber auch der Ort schlechthin, um eine Leiche verschwinden zu lassen. Ein Krimi ist „Outer Range“ nämlich auch: Einer von Royal Abbotts Söhnen hat einen der Söhne des Nachbarn totgeschlagen. Denn wie es sich gehört, herrscht Familienkrieg in Painful Gulch – und auch dabei geht es um die Weide im Westen. Nachbar Wayne (!) Tillerson (Will Patton) will sie für sich, obwohl es doch eigentlich Royal (!) Abbott ist, der das Land der Ahnen hütet, indem er wie verrückt an ihm festhält.
Und wo wir bei sprechenden Namen sind: Die rätselhafte Camperin (Imogen Poots), die irgendwann auf Abbotts Grund auftaucht, heißt Autumn Rivers, weil sie ein gesünderes Verhältnis zur Zeit als Abbott pflegt; und Deputy Sheriff Joy Hawk (Tamara Podemski), die im Fall des verschwundenen Tillerson-Sohns ermittelt, trägt nicht nur das Erbe Falkenauges, sondern ist im Vergleich mit den alten, weißen Ranchern in Vergangenheitsfragen auch herrlich entspannt. Es gehört zu den fröhlichen Ironien von „Outer Range“, dass ausgerechnet die Squaw von einst, die jetzt in einer Uniform steckt, so gar keinen Sinn für Mythen hat.
Und auch das gehört zu den Wagnissen dieses zunächst einmal achtteiligen Versuchs: „Outer Range“ mixt nicht nur Genres, sondern auch Stimmungen. Vom handlungsgetriebenen Suspense zum psychologischen Drama, von der Physik des Thrillers bis zur Metaphysik der Fantastik, vom cleveren Zitat bis zum popuntermalten Witz braucht es oft nur einen Schnitt. Steht Royal Abbott am Rand des schwarzen Lochs auf seiner Weide, kommen Stephen-King-Gefühle auf. Schafft er eine Leiche beiseite, denkt man an „Fargo“. Und wenn einer der überlebenden Tillerson-Söhne auf dem Friedhof in ein Karaoke-Mikro singt, kann „Twin Peaks“ eigentlich nicht weit sein.
Wo Amazons Algorithmus das nun hinsortiert: keine Ahnung. Wo „Outer Range“ gelingt (sprechende Namen!), liegt es jedenfalls weit draußen, im Außenbezirk.