Die Schweiz bezwingt Serbien in einem wilden Spiel mit 3:2 – Xhaka und Shaqiri stehen erneut im Fokus

Trotz 1:2-Rückstand setzt sich das Team von Trainer Murat Yakin im heiklen Duell durch. Beinahe wären die Schweizer sogar noch Gruppensieger geworden. Nun treffen sie im Achtelfinal vom Dienstag auf Portugal.

Fabian Ruch, Doha
Drucken
Granit Xhaka (links) und Xherdan Shaqiri waren erneut prägend in einem Schweizer Spiel.

Granit Xhaka (links) und Xherdan Shaqiri waren erneut prägend in einem Schweizer Spiel.

Laurent Gillieron / Keystone

Warum sollte es bei der letzten Entscheidung um den Einzug in die Achtelfinals anders sein? Diese Fussball-WM in Katar ist ein Turnier der späten und ziemlich verrückten Wendungen. Auch in der Gruppe G. Am Freitagabend führt die Schweiz kurz vor Spielende 3:2 gegen Serbien, soeben hat Kamerun im Parallelspiel in der Nachspielzeit das 1:0 gegen Brasilien erzielt. Die Brasilianer schonten ihre Stammkräfte, beinahe wären sie dafür bestraft worden. Ein Tor fehlt den Schweizern jetzt nur zum Gruppensieg – und zum Gegner Südkorea im Achtelfinal. Ein Gegentor aber auch nur, und sie haben wie Kamerun vier Punkte und 4:4-Tore – der Sieg in der Direktbegegnung würde für sie sprechen.

Im Kontrast zu diesen kühlen Rechenspielen stehen in der Schlussphase die wilden, wüsten Szenen unten auf dem Rasen. Der Schweizer Captain Granit Xhaka lässt sich zu einem Griff in den Schritt in Richtung serbische Bank hinreissen. Er provoziert, er wird provoziert, es kommt zu Rudelbildungen, Wortgefechten, Schubsereien. Es sind unschöne Bilder, in der sich alle aufgestauten Emotionen dieser brisanten Affiche entladen.

Insbesondere die erste Halbzeit sorgt für ein Gefühlschaos. Der ganze Wahnsinn ist im Gesicht von Dragan Stojkovic abzulesen. Eine TV-Kamera fängt ein, wie der Trainer der serbischen Nationalmannschaft kurz vor der Pause auf der Bank sitzt, erschöpft und bleich und verschwitzt, der Blick ist leer.

Dabei ist es eine Begegnung, wie sie Stojkovic mögen muss. Er war ein feiner Fussballer, lange ist das her, und er ist ein Trainer, der seine Mannschaften mutig aufstellt. Fussball sei ein Fehlervermeidungsspiel, sagte er am Tag vor dem dritten WM-Gruppenspiel.

Wie freigelassene Rennpferde

Offensichtlich ist Stojkovic daran interessiert, Fehler beim Gegner zu provozieren. Er setzt auf sein favorisiertes 3-5-2-System mit den wuchtigen Angreifern Aleksandar Mitrovic und Dusan Vlahovic, im zentralen Mittelfeld geben Dusan Tadic und Sergei Milinkovic-Savic den Takt vor, auf der linken Seite sprintet Filip Kostic rauf und runter, wie es nur wenige Fussballer können.

Der Trainer Murat Yakin hat mit dem Trainer Dragan Stojkovic wenig gemeinsam. Der Schweizer Coach mag es, wenn seine Fussballer Fehler vermeiden, indem sie Kontrolle über das Spiel haben, sich so bewegen und verschieben, wie er es ihnen vorgibt, die Organisation nie verlieren. Yakin muss den Goalie Yann Sommer und Nico Elvedi wegen schwerer Erkältungen ersetzen, für sie spielen Gregor Kobel und Fabian Schär, zudem kehrt der wieder fitte Xherdan Shaqiri für Fabian Rieder zurück ins Team.

Die erste Halbzeit ist ein Spektakel, als ob jemand Rennpferde freigelassen hätte, die lange eingesperrt waren. Es geht hin und her, her und hin. Dreissig Sekunden sind gespielt, als die Schweizer in Führung gehen müssten. Breel Embolo schiesst aus wenigen Metern an die Brust des serbischen Torhüters Vanja Milinkovic-Savic, der auch den Nachschuss Xhakas pariert. Nach einer halben Minute haben die Schweizer zweimal aufs Tor geschossen, das gelang ihnen in den 194 vorherigen Minuten an dieser Weltmeisterschaft total nur dreimal.

Damit ist eine Begegnung lanciert, an die man sich noch lange erinnern wird. Die Serben brauchen einen Sieg, sie greifen mit Kraft und Leidenschaft an. Andrija Zivkovic trifft bald den Pfosten, es ist ein erster Warnschuss, den die Schweizer mit dem 1:0 beantworten. Shaqiri ist es, der nach zwanzig Minuten trifft.

Es war bekannt, dass Stojkovics Serbien defensiv anfällig ist. Was an diesem Abend früh erkennbar ist: Auch Yakins Schweiz verteidigt nachlässig. Die Serben provozieren Fehler, die Schweizer vermeiden sie nicht. Remo Freulers Ballverlust an der Mittellinie führt zum 1:1, Shaqiris Fehlpass wenig später zum 2:1 für Serbien, erst trifft Mitrovic wunderbar mit dem Kopf, dann Vlahovic präzis mit einem Flachschuss.

Herrliche Schweizer Tore

Aus beinahe jedem langen Ball und schier jeder Flanke entsteht in der ersten Halbzeit Gefahr. Und aus einem herrlichen Schweizer Spielzug das 2:2 kurz vor der Pause. Shaqiri, Djibril Sow und Silvan Widmer bereiten vor, Embolo vollendet. Draussen leidet Stojkovic. Draussen muss Yakin leiden. Und oben auf den Rängen ergötzt sich das Publikum am Rausch dieses Spiels.

Und dann scheint es so, als ob es nach der Pause einfach so weitergehen würde. Nach nur drei Minuten in der zweiten Halbzeit kombinieren sich die Schweizer erneut elegant zum Tor: Shaqiri mit einem klugen Chip, Vargas mit der Hacke, Freuler mit dem Innenrist – 3:2.

An diesem Abend ist vieles anders bei den Schweizern als zuvor an dieser WM. Sie zeigen Feuer und Offensivdrang, sie schiessen und treffen, sie sind unerschrocken, aber auch seltsam instabil und lange Zeit keine tauglichen Fehlervermeider. Die Serben allerdings sind nach dem erneuten Rückstand ermattet, ihnen gelingt kein weiteres Aufbäumen.

Und so sind es die Schweizer, die sich nach Spielende feiernd zum Siegerfoto mitten auf dem Platz versammeln, die erleichtert Auskunft geben dürfen. Remo Freuler sagt, das Tor zum 3:2 sei nach seinem Fehler vor dem ersten Gegentor das Einzige gewesen, was ihn habe retten können. Der Trainer Yakin spricht von einer «grossen Leistung» der Schweizer. Er sagt: «Wenn man ein Urvertrauen in das Team hat, kommt es gut.»

Urvertrauen benötigen die Schweizer auch vor dem WM-Achtelfinal gegen Portugal am Dienstag: Offenbar will der Weltverband Fifa Granit Xhakas Geste in den Schritt untersuchen. Und nach dem Schlusspfiff jubelte Xhaka im Trikot seines Mitspielers Ardon Jashari. Was als Provokation gegen die Serben aufgefasst werden kann: Weil Adem Jashari ein kosovarischer Freiheitskämpfer war.

Serbien - Schweiz 2:3 (2:2).
Stadium 974, Doha. - 41 378 Zuschauer. - Schiedsrichter: Rapallini (ARG). - Tore: 20. Shaqiri 0:1. 26. Mitrovic 1:1. 35. Vlahovic 2:1. 44. Embolo 2:2. 48. Freuler 2:3.
Serbien: Vanja Milinkovic-Savic; Milenkovic, Veljkovic (55. Gudelj), Pavlovic; Zivkovic (78. Radonjic), Sergej Milinkovic-Savic (67. Maksimovic), Lukic, Kostic; Tadic (78. Djuricic); Vlahovic (55. Jovic), Mitrovic.
Schweiz: Kobel; Widmer, Akanji, Schär, Rodriguez; Freuler, Xhaka; Shaqiri (68. Zakaria), Sow (68. Fernandes), Vargas (83. Fassnacht); Embolo (96. Okafor).
Bemerkungen: Serbien komplett. Schweiz ohne Sommer, Elvedi und Köhn (alle krank). 11. Pfostenschuss Zivkovic. Verwarnungen: 15. Widmer. 34. Vargas. 46. Sergej Milinkovic-Savic. 56. Pavlovic. 67. Rajkovic (nicht auf dem Feld). 81. Gudelj. 82. Mitrovic. 95. Milenkovic. 95. Xhaka. 99. Schär.

Schlussrangliste Gruppe G: 1. Brasilien 3/6 (3:1). 2. Schweiz 3/6 (4:3). 3. Kamerun 3/4 (4:4). 4. Serbien 3/1 (5:8).

Achtelfinal-Paarungen: Brasilien - Südkorea, Portugal - Schweiz.